Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 25/2017 zum 21.6.2017.
Liebe Frau Andrea,
können Sie bitte für mich klären, worin sich Prolo, Prolet und Proletarier unterscheiden? Ich bin da zunehmend definitionsunsicher geworden. Herzlichen Dank im Voraus für Ihre Bemühungen,
Dr. Égon Czerny, Fünfhaus, per Facebook-Direktnachricht
Lieber Herr Doktor,
das Wort „Proletarier“ hat eine lange Wanderschaft hinter sich. Karl Marx und Friedrich Engels hatten den Begriff als Terminus der Klassentheorie eingeführt und mit diesem die Klasse der abhängigen, ausgebeuteten Lohnarbeiter bezeichnet, die keine eigenen Produktionsmittel besaßen und gezwungen waren, ihre Arbeitskraft an die Bourgeoisie zu verkaufen. Das Wort „Proletariat“ war kein Neologismus, sondern eine Entlehnung des gleichbedeutenden französischen Wortes „prolétariat“. Dieses hat seinen Ursprung im lateinischen Adjektiv „proletarius“, wörtlich: die Nachkommenschaft betreffend. Der Proletarier ist also ein Hervorgewachsener. Und wir ergänzen: ein sexualisiertes Wesen. Der große Manfred Deix hat das für unsere Verhältnisse zusammengefasst: „Budan is des Schweinsbratl von de oaman Leit“. Ungeachtet der geschichtlichen und politischen Zusammenhänge versteht sich die (keineswegs auf Wien beschränkte) Vokabel „Prolet“ nicht als Selbstbezeichnung, sondern zirkuliert fast ausschließlich als negative Zuschreibung, als Schimpfwort. Und sie hat sich, wenn auch nicht vollständig, von der Arbeiterschaft gelöst. Gibt es doch den klassischen Arbeiter kaum noch. Eine häretische Theorie des Wiener Proletarismus behauptet, der Prolet sei inzwischen nur mehr Schauspieler seiner selbst. Von überhöhter (hier: erniedrigter) Sprache getragen, mit übertriebenem Gestus ausgestattet, überkostümiert und ins Karikaturhafte überzeichnet. Mit der urlaubstechnischen Italianisierung Wiens hätte, so der Succus dieser Überlegungen, der Prolet mediterrane Züge angenommen, schwimmen und schreiten gelernt, hätte Goldketterln und Spiegelbrillen angelegt und sich Muckis antrainiert. Aus dem Prolet hätte sich der Prolo geschält. Konstituierendes Element des proletarischen Menschen aber sei die Sprache und deren Übertreibung ins Groteske geblieben. Das, was man in Wien unter Schmäh zusammenfasst.
comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina