Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 17/2017 zum 3.5.2017.
Liebe Frau Doktor,
ein Bub steht vor der Pestsäule und fragt: Wieso starb die Pest aus? Wieso sticht der Engel auf die Tote ein. Helfen Sie!
Dr. Florian Klenk, per Tweet
Lieber Herr Doktor,
die Pestsäule am Wiener Graben, auch Dreifaltigkeitssäule genannt und 1693 fertigestellt, ist eines der eindrucksvollen plastischen Bildwerke der Stadt. Das komplizierte Figurenprogramm verliert sich einem frömmelnden und monarchieverklärenden Narrativ, das heute kaum mehr lesbar ist und sich im wesentlichen darauf bezieht, dass durch die Fürbitte und Betkraft Kaiser Leopolds I. (vom Volksmund wegen seiner Habsburgerlippe „Fotzenpoldl“ genannt) die große Pestepedemie von 1679 ein Ende fand.
Die Pest (vom latinischen pestis, Seuche) wird durch das mutationsfreudige Bakterium Yersina pestis ausgelöst, das vorwiegend durch den Biss infizierter Flöhe, im epidemischen Ablauf der Seuche aber auch durch Tröpfcheninfektion übertragen wird. In jedem Fall sind es üble hygienische Verhältnisse, die die Ausbreitung befördern. Wien wurde seit dem Mittelalter, meist im Abstand einiger Jahrzehnte von der Seuche heimgesucht, erstmals 1349 und zuletzt 1713. Der letzte Laboratoriums-Pestfall ereignete sich gar erst 1898 im Kaiser-Franz-Joseph-Spital. Als schwerste Pestepidemie Wiens galt jene von 1349. Fast ein Drittel der Bevölkerung kam damals ums Leben. Die meisten Erkrankten einer historischen Pestepedemie starben innerhalb von drei Tagen nach Auftreten der Symptome. Wer den dritten Tag überlebte, durfte mit einer Genesung rechnen.
Zum Zusammenbruch einer Epidemie kam es meist im Winter, weil dann die septische Bakteriendichte in den Eregerwirten (meist Ratten) geringer war, die übertragenden Flöhe weniger Bakterien aufnahmen – und weil Flöhe sich bei Kälte nicht vermehren. Wurde die Pest im Spätherbst eingeschleppt, brach sie erst im nächsten Frühjahr aus.
Ohne erschöpfende Kenntnis der genauen Ikonographie vermute ich im einstechenden Flügelwesen den Erzengel Michael, der in seiner Schutzpatronfunktion des Reiches die Pest in Form der siechend Darniederliegenden triumphierend tötet. An den anderen Erzfeind der Habsburger, den besiegten Türken wäre indes auch immer zu denken.
comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina
Liebe Andrea,
Der Engel wird wohl eher Gabriel sein, der Papst Gregor I. bei einer Pestprozession erschien, um ihm das Ende der damals wütenden römischen Pestepidemie zu künden. Es hat auch des Kaisers Darstellung in Gebetshaltung nichts mit Frömmelei zu tun, sondern beruht auf der Tatsache, daß die Pest zu dieser Zeit als Strafe Gottes gesehen wurde und als einziges probates Heilmittel das Gebet galt, da man ihr ansonsten vollkommen machtlos gegenüberstand. Außerdem ersetzte die marmorne Pestsäule eine vorher daselbst stehende hölzerne Pestsäule, zur der die Menschen zur Anbetung der heiligen Dreifaltigkeit pilgerten, um für das Ende der Epidemie zu beten.
Weiters beantwortest Du nicht die Frage, wieso die Pest ausstarb:
Erst einmal muß man diese Aussage dergestalt eingrenzen, dass sie nur in der westlichen Welt „ausgestorben“ ist. Für ihr „Austerben“ sind mehrere Faktoren von Bedeutung. Zum einen der nach dem 30-jährigen Krieg einsetzende stetige Wechsel vom Holz- bzw Fachwerkbau zum Ziegel- oder Steinbau, bedingt vermehrt durch die oftmaligen verheerenden Stadtbrände, weiters, dass man verstärkt hygienische Maßnahmen in den Städten zur Anwendung brachte, wie zum Beispiel das Bestreuen von Mistgruben und anderen Lagerstätten mit gelöschtem Kalk bzw andere Vorsichtsmaßnahmen. Ebenso vertrieb die von der Wolga herkommende Wanderrattte die kleinere Hausratte. Außerdem führten jene Häfen die mit dem Osten Handel führten strenge Kontrollen und Quarantänen ein. In Österreich half vor allem die Errichtung der Kontumazgrenze die Einschleppung aus der Türkei einzugrenzen. Und dann darf man natürlich das Aufkommen der Pestizide nicht vergessen.
mit besten Grüßen,
A.
Auf speziellen Wunsch:
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Liebe Frau Doktor,
ein Bub steht vor der Pestsäule und fragt: Wieso starb die Pest aus? Wieso sticht der Engel auf die Tote ein. Helfen Sie!
Dr. Florian Klenk, per Tweet
Lieber Herr Doktor,
Kinder haben ein untrügliches Talent dafür, genau jene Fragen zu stellen, die für uns Erwachsene am schwierigsten zu beantworten sind – entweder, weil es keine einfachen Antworten gibt, oder weil die Beantwortung Unbehagen auslöst. Sie könnten dem Buben natürlich einfach die Erklärung der Pestsäule anbieten, nämlich dass Gott die Seuche beendet hat. Oder sie recherchieren 15 Minuten im Internet, um ihn danach mit Versatzstücken von verschiedenen Websites und Wikis abzuspeisen. Wenn Ihnen beide Optionen nicht gefallen, werden sie sich an die Wahrheit halten müssen.
Die Wahrheit ist, dass wir nicht genau wissen, warum Pestepidemien endeten. Ein Ansatz ist, die Seuche habe sich einfach tot gelaufen; waren erst einmal genug Menschen der Pest zum Opfer gefallen oder geflohen, genug Ratten verendet und Quarantänemaßnahmen ergriffen, fand die Krankheit nicht mehr genug neue Wirte, um eine ernste Bedrohung darzustellen. Warum die Pest nicht sofort wieder auftrat, versuchen anderen Thesen zu erklären. Sie reichen von der allmählichen Verdrängung der Hausratte durch die Wanderratte über verbesserte Hygiene bis zum langsamen Verschwinden von Holzhäusern aus den Städten. Kurz gesagt: Wir können vermuten, und manches ausschließen, aber wissen werden wir es vielleicht nie. Ihr Bub wird vielleicht enttäuscht sein. Sagen Sie ihm dann, dass es okay ist, zuzugeben, dass man etwas nicht weiß, sogar in der Wissenschaft – das ist wichtig in einer Zeit, in der sich immer mehr Menschen nach einfachen Antworten sehnen, auch wenn diese gelogen sein sollten.
Was den Engel betrifft: Bitten Sie den Buben, genauer hinzusehen. Das ist keine Stichwaffe, sondern eine Fackel, welche die Gestalt zu seinen Füßen abzuwehren versucht. Vielleicht verkörpert sie nur die Pest, die durch das Feuer des Glaubens gestürzt wird – stimmig ist dies angesichts der Tatsache, dass das verbreitetste Bild für sie ein Skelett war, nicht wirklich. Wahrscheinlicher ist, dass hier auf Abraham a Sancta Clara angespielt wird, der für den Ausbruch der Seuche Juden und Hexen verantwortlich machte, wodurch die Szene sich zur bildhaften Hexenverbrennung wandelt. Wie Sie dem Buben erklären, warum wir früher Frauen auf grauenhafte Weise hingerichtet haben, weil sie angeblich zaubern können, weiß ich allerdings leider auch nicht.
Vielen Dank an Albrecht C. und Anatol Rathbauer für die wertvollen Debattenbeiträge! Das Bild wird undeutlicher aber reichhaltiger.
AMD