Die Türkei hat gesprochen (tatsächlich hat sie gestempelt), aber wie lautet die Botschaft? Man ist versucht mit Karl Valentin zu antworten, demnach schon alles gesagt sei, nur noch nicht von allen. Das Land zwischen Europa und Orient, die Brücke zwischen den Kontinenten ist seit jeher größer als seine Grenzen und kleiner als seine Wirkung. Es spricht zu uns mit vielen Stimmen, nicht immer ist die lauteste davon jene des Mannes im Cumhurbaşkanlığı Sarayı, zu Deutsch: Präsidentschaftspalast. Die Türkei nach dem Referendum gleicht einer großen trüben Kristallkugel, in der vieles gesehen wird, nur eines nicht: Klarheit. Die einen erklären Erdoğan als geschwächt, weil die Mehrheit für seine Verfassungsreform kleiner ist als gedacht. Die anderen lesen aus dem Ergebnis galoppierenden Erdoğanismus, und damit verbunden, eine Sturzflucht in den Untergang. Zu den momentanen Befunden mischen sich alte. Zur Sehnsucht nach dem märchenhaften Orient gesellt sich mitteleuropäischen Osmanenfurcht, das latente Verständnis für den starken Mann kollidiert mit Hatschi-Bratschi-Ängsten, Mulitkulti-Buntbehagen reibt sich an xenophobem Migrantenhass. Dazwischen erklären sich die Interpreten und Analysten, schöpfen Gutfinder Hoffnung und Bösfinder Resignation. Die Türkei dieser Tage fordert Kommentare aller Sorten und Intensitäten. Auch der heimische Minister mischt sich ein. Die Außenpolitik wendet sich tradionell nach Innen, die Innenpolitik nach aussen, die Landesverteidigung macht beides und die Integration nichts. Der Boulevard schaukelt auf, das Feuilleton schwingt dagegen. Dabei ist uns die Türkei näher als uns lieb ist. Obwohl: Lieb haben wir sie. Kristallblau sind unsere Urlaubserinnerungen, voll Sonne und Saft. Der Blick auf die Türkei, der Blick in die Türkei ist auch ein Blick in uns selbst. In die tiefste Österreicherei. Dort tummeln sich die Dämonen der Diktatur und spielen fangen mit Religiosität und Säkularismus, dort tanzt die Erinnerung an Großmachtszeiten mit der Sehnsucht nach einem guten Leben. Sind wir nicht alle Türken?
Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 22.4.2017.