Das Land am Strome ist nahe an der Flüssigkeit gebaut. Wohin man man blickt – Flüsse, Bäche, Seen, Gletscher. Sei es die rauschende Salzach, der tobende Inn, die melancholische Drau, die beschauliche Enns, die düstere Mur oder die launige Donau, die prominentesten Flüssigkeiten sind auch noch in Bewegung. Das führt sei jeher zu Missverständnissen und Überaschungen im Verhältnis zwischen Flüssigkeit und Bevölkerung.
Die Erlebnisse der Begegnung sind tränenreich. Nach dem Zeltfest liegt der Moped-Opa tot im Bach. Depressive Mädchen ertränken sich und den Weltschmerz im Dorfteich, übermütige Buben rutschen bei der Mutprobe vom Brückenpfeiler. Wenn der Fluss über die Ufer tritt, kommt das böse Wasser auch nach Hause. Wenn der Alpenneptun sich in Keller und Vorgärten erbricht, Wiesen und Felder mit stinkender Flut überschwemmt, dann erlischt der Österreicher Liebe für das besungene Gewässer. Dann meldet sich die Missgunst und der Zorn, dann ist der Uferländler in die Feindschaft zurückgeworfen, dann sinnt er auf Rache. Kaum ist der Pegel gesunken, kaum sind faulige Schlämme und modernede Möbel aus den Wohnzimmern geschoben, beginnt das große Bestrafen. Dann wird beschlossen, gezeichnet und geplant, dann werden die Bagger und Greifer bestiegen, dann wird reguliert. Ufersäume werden zu Hochleistungsdämmen hochgemauert, Bachsohlen zu Wasserstraßen planiert. Wenn die Ökologiebewegten mitreden, werden ein paar künstliche Buchten verbaut. Ein Radweg wird auf hohem Treppelweg gebaut, ein Lehrpfad angelegt und ein Fitnessparcour. Das Gewässer gilt dann als gezähmt. Die Hausgärten danken es mit Golfrasen aus dem Lagerhaus, fein geschnitten vom pferdestarken Kleintraktor und bewässert aus der gemeindeeigenen Trinkwasserleitung. Für das Badeglück abseits aller Gefahren sorgt der chlorierte Pool mit Gegenstromanlage, der naturnahe Kunstteich mit Ökobewuchs und der app-gesteuerte Turbo-Jacuzzi. Bis das Jahrtausendhochwasser kommt. Dann fließen wieder die Tränen. Die wichtigste Österreicherflüssigkeit.
Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 8.4.2017.