Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 14/2017 zum 5.4.2017.
Liebe Frau Andrea,
ein südtiroler Freund findet es absonderlich, dass die Wiener ständig das Verb „tun“ verwenden. Beispiele: „Wir gehen am Abend ins Kino und tun vorher essen“ oder „Tun wir vor dem Theater noch essen gehen?“ oder zum Kind „Tu das jetzt runterschlucken“. Bitte um Hilfe, ist das richtig oder falsch oder spezifisch wienerisch?
Mit freundlichen Grüßen
Silvia Martikan, per Email
Liebe Silvia,
unser Anlaßfall, der galoppierende Gebrauch des Hilfs-Hilfszeitwortes „tun“ ist weder richtig, noch falsch und auch nicht spezifisch wienerisch. Das unregelmäsige Verb begegnet uns in dieser Form zum ersten mal im 8. Jahrhundert, es hat zu diesem Zeitpunkt aber schon eine viel längere Reise hinter sich, kommen doch das westgermanische. *dō (tun), das altenglische dōn (neuenglisch „do“) und das altfranzösische „duā“ von einem indoeuropäisch erschlossenen *dhe, soviel wie „setzen“. In den einigen Dialekten des Bairischen (zum dem das Wienerische gehört) hat das Verb, etwas müde geworden, die Rolle eines Hilfsverbs übernommen. Üblicherweise werden damit Aspekte des Andauerns ausgedrückt, was zu Wendungen wie „Duasd jetzt weida?“ (Tust du jetzt weiter?) führen kann. Zudem erfüllt das Verb „tun“ besonders in süddeutschen Dialektregionen auch die Funktion des Hilfsverbs „werden“ für den Konjunktiv II: „Ich dad jo weidaduan, owa es duad ned“ (Ich täte ja weitertun, aber es tut nicht). Der südoststeierische Bauer grüßt nicht mit der Formel „Wie geht es dir?“, sondern stößt nur kurz: „Duasdn?“ (Wie tust du denn gerade?) aus.
Die Frage nach der Richtigkeit der hier verhandelten Sprachgebräuche ist letztlich eine moralische. Was darf Sprache und was muss sie? Den sechs Modalverben dürfen, können, mögen, müssen, sollen und wollen, die dem Ausdruck einer Notwendigkeit oder Möglichkeit dienen, werden sich womöglich noch andere hinzugesellen. Es gibt viele Fragen, nicht alle können wir beantworten. Spricht Sprache uns oder sprechen wir Sprache? Will sie können oder soll sie müssen? Tun wir dürfen oder dürfen wir tun? Lassen wir bitten oder bitten wir zu lassen? Die Sloganistik ist da schon weiter. Mit Sätzen wie: „Ö1 gehört gehört.“
comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina