Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 09/2017 zum 1.3.2017.
Liebe Frau Dr. Dusl,
ich bin leicht verwirrt, seit wann sind wir alle per Du? Und was wurde eigentlich aus der guten Sitte, Promovierte mit dem Titel anzusprechen?
Dr. Benno Gasser, Wels, per Facebookdirektnachricht
Lieber Herr Doktor,
wie sie bemerken, habe ich eine Mutation des „Hamburger Sie“ vorgenommen, um der Unpässlichkeit auszuweichen, Sie mit „Lieber Benno“ anzureden. Gleichwohl sind die Anreden in dieser Kolumne satirisch gefärbt, sie nehmen Bezug auf das Genre der Briefkastentante. Große Erosion auf diesem Gebiet hat der Kummerkollege der Jugendpostille „Bravo“, Dr. Sommer zu verantworten. Im Einklang mit dem Altersgefälle zwischen Lesern und Autoren der Pop-Aufklärungs-Zeitschrift waren dort Erwachsene mit Jugendlichen per du. Das Selbstbau-Möbel-Kaufhaus IKEA hat das schwedische „du“ in Österreich eingeführt, es war davor nur dem Insult vorbehalten und der ungestörten Konversation zwischen Angehörigen der selben Klasse. Eine Ausnahme sollten die Bürgerlichen darstellen, ein Stand, der in Österreich grundsätzlich von Defiziten in der Selbstachtung begleitet ist. Im Amtsverkehr, beim Arzt und in der Apotheke gelten noch die vormärzlichen Sitten. Im Umgang mit Handwerkern und Polizisten hat sich das „Ihrzen“, streng wienerisch eigentlich das „Esen“ eingebürgert: „Hobts es die Rearln ollaweu no ned valegt?“, „Sads es ogschitt, an Hundata fia die Gasinschbekdsion!“ oder „Des hod jetztan sei miassen, dass’ mi aussewinkts! Hobts es kane Vabrecha zan vafoign?“ Im Mailverkehr werden Sie das „Sie“ nur von Mitbürgern aus dem letzten Jahrhundert einfordern können, auf Facebook nicht einmal von denen. Falls Sie auf dem „Sie“ und Ihrem Titel bestehen, antworten Sie doch Zuwiderhandelnden mit dieser Formel: „Erlauben Sie mir den Hinweis auf korrekte Anrede. Damit weisen wir unsere Kompetenz in der institutionellen Kommunikation nach. Sprachliche Register können damit differenziert und bewusst gespielt werden. Es geht bei dieser Frage nicht um individuelle Eitelkeit, sondern um die flexible Handhabung von Sprache und den Nachweis von Unterscheidungsfähigkeiten in komplexen Kommunikationssituationen.“ Ein einfaches „Oida!“ tut oft bessere Dienste.
comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina