Der Besuch eines Balles steht unter der Prämisse “Sehen und gesehen werden”. Dies gelingt umso besser, je grösser der Ball ist. Entgegen landläufiger Ansicht dient ein Ball nicht nur der Stillung des Walzerdurstes. Jedenfalls nicht vorrangig. Die Dramaturgie eines Balles folgt einer anderen Logik: Die Jungdame an den Jungmann zu bringen. Bälle sind Heiratsmärkte.
In ihrem Gestus folgen Bälle alten, aber bewährten Mustern feudaler und absolutistischer Lustmaximierung (darin ähneln sie der Oper) in ihrer Mechanik sind sie Genpool-Casting-Shows (darin ähneln sie den Zeltfesten). Ihre eigentlichen Protagonisten sind die Debütierenden. Es gelten eindeutige Zuordnungen. Je makelfreier der Sitz des Jungherrenfracks, je anmutiger das Fallen des Jungdamenkleids, desto besser (reicher, angesehener) die ausstattende Familie.
Dabei ist Ball nicht gleich Ball. Der Philharmonikerball ist nicht der Opernball, der Techniker-Cercle nicht der Ärzteball, der Wissenschaftsball nicht der Akademikerball. Kreise finden sich. Kreise weichen einander aus. Als legendäre und einzige Heiratsbörse eines ganzen Berufsstandes galt der Ball der Wiener Fleischhauer und Fleischselcher, ausgerichtet vom Klub der Wiener Fleischhauer- und Fleischselchermeistersöhne und -Töchter. Das Plakat wies darauf hin, dass die Herren in dunklem Anzug kommen mochten. Zu groß war die Gefahr, dass Fleischhauermeister und Fleischselchermeister (oder deren Söhne) in weißer Fleischerjacke und Schürze antanzten.
Bälle sind also Börsen. Gehandelt werden Heiratsmöglichkeiten. Als Fortsetzung der eingangs vorgestellten Markt-Zusammenkünfte können wir die österreichische Medienöffentlichkeit verstehen. Der Kongress tanzt, aber er kommt nur langsam vorwärts. Das Bonmont wurde in Wien gemünzt und ist ungewechselt in Umlauf. Wir dürfen Fernsehen, die Innenpolitikseiten der Zeitungen und die sozialen Medien Twitter und Facebook als virtuelle Bälle verstehen. Sie dienen nur einem Zweck: Der Anbahnung und Vermittlung von Liaisonen. Aber Obacht! Der Tanzboden der Schlagzeilen ist glatt und rutschig.
Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 21.1.2017.