Der Paradeiser Saft in luftiger Höhe

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 44/2016 zum 2.11.2016.

Liebe Frau Andrea,
Tomatensaft findet man nur selten auf Getränkekarten von Gasthäusern und Restaurants. Auf Flugreisen fällt mir jedoch immer wieder auf, dass Reisende Tomatensaft bestellen und diesen auch bekommen? Gibt es dafür eine Erklärung? Hilft Tomatensaft vielleicht gegen Flugangst? Vielen Dank,
Gerhard Sorger, 3424 Wolfpassing, per Email

Lieber Gerhard,

Ihre Beobachtung deckt sich mit sämtlichen Evidenzen. Nun wäre man versucht, den entscheidenden Grund für die Beliebtheit von Tomatensaft an Bord von Flugzeugen darin zu sehen, dass dieser traditionell auf den Speisekarten der Fluglinien zu finden ist. Der Effekt könnte alleinig auf der Konjunktur durch Marktpräsenz fußen, um die Sprache der Ökonomie zu bemühen. Ganz so wie es sich mit Wienerschnitzel in Wien verhält und mit Spätzle in Alemannien.

Tatsächlich liegen aber andere Gründe für die Kabinenlust am roten Nachschattentrunk vor. Lebensmittelwissenschaftler der US-Universität Cornell wollen herausgefunden haben, dass Lautstärke den Geschmackssinn deutlich beinflusst. Was sich bei Rockkonzerten in verstärkter Lust an Bittergetränken wie Bier äussert, soll an Bord von Flugzeugen für die Freude am Tomatensaft verantwortlich sein. Während süße Sachen ihren Charakter verlieren, verstärke sich in lauten Umgebungen der Sinn für die Geschmackswahrnehmung Umami (japanisch für „fleischig und herzhaft, wohlschmeckend“).

Aromachemiker vom deutschen Frauenhofer-Institut sind der Lösung des Tomatensaft-Phänomen letzlich mit Großversuchen in Airbus-Rümpfen unter Luftfahrtbedingungen entscheidend näher gekommen. Demnach beeinflusse der niedrige Luftdruck der Flugzeugkabinen in der modernen Luftfahrt die Geschmacksempfindungen signifikant. Speisen und Getränke rieche man bei niedrigem Bord-Druck wegen der nun höherliegenden Geruchs- und Geschmacksschwelle, als hätte man einen Schnupfen. Salz und Zucker würden weniger intensiv geschmeckt, Kaffee oft als bitter empfunden, Riesling als zu sauer. Voila! Einzig Tomatensaft profitiere von den veränderten Geschmackswahrnehmungen. Einen weiteren Vorteil hat Tomatensaft: Er ist weniger harntreibend als andere Säfte. Kein unwichtiges Asset in der Luftfahrt.

comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

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