Was wirklich fehlt

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 24.9.2016.

Die Gesellschaft ergibt sich der Phantasie, wir hätten alles. Wir lebten in der Überflussallmende, die rund läuft, wie ein deutscher Dieselmotor. Hin und wieder erheben sich mahnende Finger, die zur Kurskorrektur aufrufen. Ihnen wird in marktgläubiger Ergebenheit mit Austerität geantwortet, aufgeladen vom Verständnis für das flüchtige Rehlein Kapital.

Möglicherweise gibt es Phantasien des Überflusses, aber eine Gesellschaft gibt es nicht. Die wurde in den späten Achtzigerjahren von Margaret Thatcher mit den Worten „There is no such thing as society“ für obsolet erklärt. Niemand hat seither die Gesellschaft als Gemeinwesen Aller wieder eingeführt. Wir befinden uns in einem Zustand, der Gesellschaft nur simuliert. Auch die Sprache ist nur ein Simulans, was jeder bestätigen kann, der sich in eines der sozialen Netzwerke begibt. Wir reden aneinander vorbei, das aber laut und mit galoppierender Aggression. Der Gesellschaftssimulator Facebook befeuert diese Zustände dadurch, dass er algorithmisch bestimmt, was wir überhaupt zu lesen bekommen. Aus dem, was die von uns “Freunde” genannten Individuen von sich geben. Diese, Wirklichkeit erzeugenden Räume des Diskurses werden Echokammern genannt. Wir entkommen ihnen nicht. Die Echokammern sind geschlossene Systeme, die vorgeben, offen zu sein. Auch die Abstinenz von Facebook, Twitter, Instagram und wie die Echolabyrinthe alle heißen mögen, führt keineswegs in die Befreiung. Wo auch immer wir uns hinbewegen, es war schon jemand da, der den Weg berechnet hat, den wir eingeschlagen haben. Supermärkte und Ketten gaukeln die freie Warenwelt vor, ihr Angebot ist gleichwohl algorithmusgeneriert. Wir finden im Regal, was wir durch unseren letzten Kauf dorthin beordert haben. Überraschungen gibt es nicht.

Oder doch. Menschen, Mitbürger, die in den Mistkübeln nach Essen fischen, die vor den Konsumtempeln um Almosen betteln. In ihren Echokammern erklingen ganz andere Töne. Zeit, wieder eine Gesellschaft Aller auszurufen. Es wird allen von uns gut tun.

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