Großer Irrtum Entschuldigung

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 25/2016 zum 22.6.2016.

Liebe Frau Andrea,
besonders nach Auslandsreisen fällt es mir seltsam auf: Die Österreicher entschuldigen sich, wenn sie in einem Geschäft nach etwas fragen. Woher kommt das?
Schon mal vielen Dank und liebe Grüße, Susanne Schiebenbecher, Leopoldstadt, per Wolkenkabelbrief

Liebe Susanne,

in Österreich ist es tatsächlich üblich, sich beim Eintritt in ein Geschäft, und ja selbst beim Aussprechen eines Wunsches in einem Laden oder einer Gaststätte zu entschuldigen. Wofür entschuldigen wir uns? Was ist das für eine seltsame Sitte?

Wie viele unausrottbare österreichische Üblichkeiten stammt das Entschuldigen im Geschäft aus den gar nicht so guten Zeiten der Monarchie, wo einander in Geschäften weitgehend Dienende verschiedenen Ranges begegneten. Bürgertum und Aristokratie gingen damals nicht selbst einkaufen, sondern ließen das vom so genannten „Personal“ durchführen. Das Personal traf in einem Geschäft auf die standesmäßig höher stehenden Verkäufer oder gar den Inhaber, der meist auch dem Bürgertum angehörte. Eine Entschuldigung für die „Störung“, die das Betreten des Ladens für den Kaufmann bedeutete, sowie das höfliche Vortragen der Einkaufsliste gehörte zum üblichen Ton in einem Geschäft.

Einen andere Umgang hatten Geschäfte mit “der Kunde“, der Bekanntschaft eines Geschäftes. Diese begegnete ohne Entschuldigung. In einer mittelalterlichen, barocken, neoabsolutistischen Stadt konnte “die Kunde“ nur ein anderer Bürger sein. Oder jemand aus seiner Familie.

Aristokraten gingen in den seltensten Fällen einkaufen. Wozu auch. Als Abenteuer war es zu ungefährlich, als Zerstreuung zu langweilig. Das Genre des Nichteinkaufenden wird auch seit der offiziellen Abschaffung des Adels gepflegt. Minister, Parlamentarier, Sektionschefs und Hofräte, Industrielle und Gewerkschaftsbonzen, Kleriker und hochrangige Militärs kennen den Einkauf nur in abstrakter Form. In ein Geschäft gehen andere für sie.
Auf Augenhöhe einzukaufen war Nichtbürgerlichen und Nichtaristokraten nur auf dem Markt möglich. Hier entschuldigte sich niemand für Störungen. Hier wird auch heute noch saftig mit einander geschrien. Hier wird weder gebeten noch gebuckelt. Hier ist die Verkaufswelt aufgeklärt und psychosozial entösterreicht.

comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

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