Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 23/2016 zum 8.6.2016.
Liebe Frau Andrea,
ich fühle mich überschwemmt von der Grußvokabel “Tschüss”. Seit schon längerem tschüssen sich alle an. Werden wir jetzt alle Deutsche?
Besorgte Grüße, Mia Moshammer, Leopoldstadt, per Wolkenkabelbrief
Liebe Mia,
Tschüdilü, mit einem Meidlinger „l“, grüßte der Keyboardbetreuer des legendären Musikgerätegeschäftes “For Music” in der Wiener Alserstraße so oft und so gerne, dass sich die Lautfolge in die Großhirnrinde mehrerer Generationen von Musikern einbrannte. Tschüdilü kommt über diesen Umweg durch den Alsergrund aus dem Norddeutschen. Der Abschiedsgruß Tschüs (auch Tschüss) hat sich langsam aus dem bis in die 1940er Jahre üblichen Atschüs (eigentlich Adjüs) entwickelt. Die Verabschiedungsformel ist aus dem romanischen Sprachraum ausgebüchst, wo wir sie als adieu, adiós, ade kennen. Mecklenburger sagen “Tschüssing“, Rheinländer “Tschö“ oder “Tschökes“. Schleswig-Holstein findet “Tüüs“ klasse und in Brandenburg und Berlin und gewissermaßen auch im Thüringisch/Sächsischen hat “Tschüssi“ dazu geführt, das irgendwann einmal halb Berlin-Mitte “Tschüssikovsky“ sagte und sich mit “Bisdannymansky“ antworten ließ.
Als Herkunft des “Tschüs“ hat man erst das spanische “adiós“ verdächtigt, das in den damals spanischen Niederlanden zu “atjüs“ geworden, in den norddeutschen Sprachraum eingedrungen sein soll. Nicht allen gefällt diese Variante. Sympathisch erscheint hingegen der Gedanke, “Tschüs“ sei aus dem französischen “adieu“ (mit Gott) entstanden, besser gesagt, aus dessen wallonischer Variante “adjuus“.
Was der Franzmann auf seinen vielfältigen Europaausflügen verbreitet hat, ist hingegen das alemannisch/schwäbische “Ade“ aus Französisch “adieu“. Ein Eizerl österreichischer ist “Tschau“, abgeleitet von “ciao“, einer Dialektform des italienischen “schiavo“, das eigentlich „Sklave“ bedeutet. Und anders, als sich die Hietzinger denken, ist “Ciao“, “Tschau“, nicht erst über die Vespa fahrende Jeunesse Haute-Saint-Guyenne (die Ober-Sankt-Veiter Jugend) aus den adriatischen Gefilden mitgebracht worden, sondern schon weit früher. Bereits 1900 haben sich die Urgroßeltern der Vespapiloten am Ringstraßenkorso das “Ciao“ der österreichischen Armeeoffiziere entgegengeworfen.
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