Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 22/2016 zum 1.6.2016.
Liebe Frau Andrea,
seit der Niederlage Norbert Hofers bei der Bundespräsidentschaftswahl und dem damit einhergehenden verschwörerischen Raunen der FPÖ über die Auszählung der Wahlkarten wird eine Metapher bedient, die mir bislang gänzlich unbekannt war und deren bildlicher Sinn sich mir nicht erschließt: FPÖ-General Herbert Kickl sprach am Montag nach der Wahl im ORF davon, dass man sich anschauen werde, „ob da Fleisch am Knochen ist“; auch Strache spekulierte einen Tag später in der ZIB2 mit derselben Metapher über Wahlmanipulation. Ist das eine real-existierende Redewendung oder eine Neuschöpfung des Poeten Kickl?
Liebe Grüße, Theo Anders, per Wolkenkabelbrief
Lieber Theo,
wir begegnen hier einem in Vergessenheit geratenen Sprachbild, das viszerale Mängel-Erfahrungen aus der Blut-und Boden-Zeit wachruft. Die Mutter steht am Herd und kocht Suppe. Diese wird nur dann stark und sättigend ausfallen, wenn noch Fleisch am auszukochenden Knochen ist. Die Metapher hatte kurzzeitige Konjunktur bei den beiden genannten Interpreten. Ungeachtet des Anlassfalles stellt sich die Frage, welche Form spöttischen Denkens die Zitierten in Stellung brachten, war es Ironie, Satire, Zynismus oder Sarkasmus? Ironie, die Philosphie jenes feinen Spotts, der sich hinter scheinbarem Ernst versteckt, ist den Erwähnten schon deswegen fremd, weil ernsthafter Schein für die Protagonisten heller strahlt als scheinbarer Ernst. Nicht weniger lieb ist ihnen aus Eigenschutz das Stilmittel der Satire, die bocksfüssig-saturnalische Verspottung Überforderter. Auch die dritte Verhöhnungstechnik ist griechischen Ursprungs. Sie stammt aus der Denkschule der Zyniker, wörtlich der “Hündischen”, “Bissigen” (von kyon, dem Hund). Diese, vom Philosophen Antisthenes begründete Schule ist den Angesprochenen, auch ohne ideengeschichtliches Besusstsein nicht gänzlich fremd. Tatsächlich ist das gefundene Zitat sarkastischer Natur, ist doch der Sarkasmus von allen beissenden Spotten der radikalste, denn er leitet seine Wörtlichkeit vom griechischen “sarkázein” ab, was nicht weniger bedeutet, als das Fleisch bis auf die Knochen abzunagen. Womit wir wieder beim Ausgangspunkt unserer Erörterung angelangt wären.
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