Neue Sitten

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 28.5.2016.

Als die Welt noch festgefügt war, geschieden in Rot und Schwarz, vereint in (riesen)großer Koalition, war die Wahl eines Bundespräsidenten ein Formalakt ohne allzu großes Risiko. In die Hofburg zog nach Urnengang ein netter alter Herr, der seine politische Grundfärbung am Burgtor gegen monarchisches Grau tauschte, um sich fortan dem Signieren von Dekreten, dem Verleihen von Orden und dem Zerschneiden von Eröffnungsbändern zu widmen. Ansprachen dienten der Lähmung der Zuhörenden und hatten programmatischen Nullwert. Bisweilen taumelte eine einsame Boje der Mahnung im Meer der Ruhe, etwa als Rudolf Kirchschläger auf der Welser Messe 1980 die Trockenlegung der Sümpfe und sauren Wiesen forderte. Gemeint waren nicht abgesoffene Weidegründe in Gigritzpatschen, sondern der Korruptionsfilz rund um die Errichtung des Allgemeinen Krankenhauses in Wien. Verstand sich ein Bundespräsident doch immer auch als Vertreter der Landbevölkerung in der bösewichtigen Stadt. Hier wimmelte es von Bürgern und Studenten, Neureichen und Altklugen. Im Wasserkopf wurde das Land ertränkt, wer dorthin zog, kam nie wieder. Die Stadt war das Böse.

Diese alte Ressentiments konnte der Stichwahlkampf zwischen dem grantigen Ökonomieprofax und dem stachellöckenden Drachenflieger mobilisieren. Hie die grüne Stadt, da das blaue Land.

Was läuft hier ab, fragen also die Paranoiker im Lager des knapp Unterlegenen, und deuten auf die Visualisierungen der nackten Zahlen. Die politische Karte Österreichs ist gänzlich blau, sagen sie, nur hin und wieder sieht man grüne Flecken. Mit rechten Dingen geht das nicht zu, sagt der Landwirt in Spiss und Muhr, Tweng und Gerlosberg, Unterlamm und Wiesfleck. Wie können uns die Großkopferten in der Stadt den Hofernorbsi nehmen? Keine Blasmusik hat ihnen den Weg zur Wahlzelle gewiesen, kein Wirtshaus das Kreuzerlmachen vergoldet. Ja schlimmer noch, in den Häuserwüsten wurde per Brief gewählt! Und wer sitzt jetzt in der Hofburg? Der unrasierte Grüne! Ein Großkopferter aus dem Kaunertal. Momenterl. Das ist doch. Ja, das ist. Am Land.

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