Vielfach wird die Bedeutung des Aufmarsches der Wiener Sozialdemokratie am 1. Mai falsch verstanden. Von Aussenstehenden, wohlwollenden wie übelwollenden, in der Regel aber neutralen, wird der Sternmarsch aus den Bezirken und Sektionen Wiens zum Rathausplatz als Huldigung der Stadtspitze, der Gewerkschaft und (so der Fall) des Bundeskanzlers verstanden. Wie wird das Ereignis wahrgenommen? Auf massiv erhöhter Tribüne stehen Auserkorene, winken mit roten Taschentüchern und freuen sich über die Einziehenden. Das ganze wird als seltsame Parade verstanden, die Traditionen des Vorbeimarsches an der Ehrentribüne am Roten Platz (i.e. der Balkon des Leninmausoleums) nacherzählt.
Es ist ganz anders. Auch Teilnehmende auf der Tribüne mögen das nicht in aller Konsequenz wissen.
In den Bezirken Wiens formiert sich die sozialdemokratische Basis, die Mitglieder und Bewegten von Sektionen, Organisationen, Vorfeldorganisationen, Verbänden, Fraktionen der SPÖ, in der Regel jener der Stadt. Unter Mitnahme ihrer Fahnen, von Transparenten und anderen Sichtbarkeiten marschieren Sie auf alten Routen Richtung Rathausplatz. Zu einem einzigen, gerne vergessenen Zweck: Dem Rathaus, also der Obrigkeit ihre Stärke zu zeigen. Gehuldigt wird nicht den dort stehenden, sondern einzig einer Idee, der Sozialdemokratie und ihren Werten. Und so heißt der 1-Mai-Aufmarsch auch „Demonstration“.
Wenn sich nun die Tribüne (oder ausgewählte Partizipierende dort) von den Zielen der Sozialdemokratie entfernt haben, wird das von der Basis sichtbar und hörbar kundgetan. Zugegeben, das geschah noch nicht so oft. Aber wenn es notwendig ist, geschieht es. Muss es geschehen.
Im Lichte dieser Erkenntnis war also dieser 1. Mai und die gellenden Pfiffe, Buhrufe und Schilderwälder für Werner Faymann und seine Prätorianer ein Zeichen der Stärke der Sozialdemokratie, nicht eines der Schwäche.
Freundschschaft!