Der Geruch aus der Hölle

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 10/2016 zum 9.3.2016.

Liebe Frau Andrea,
neulich war ich am Flohmarkt. Und da war er wieder, ein Geruch, süsslich, dumpf, na wie soll ich sagen, wie von faulenden Toten. Und ich habe den Geruch nicht zum erstenmal gerochen. Wie gesagt, ich war am Flohmarkt, nicht am Zentralfriedhof. Was war das?

MfG, Camilla Possanner, per Wolkenkabelbrief

Liebe Camilla,

wir wollen davon ausgehen, dass sie keine Phantosmie (Geruchshalluzination) erlebten und auf dem Wiener Flohmarkt keine Verwesenden herumlagen. Für die von Ihnen wahrgenommene olfaktorische Sensation kommt nach meinem Dafürhalten ein eiziges Duftereignis in Frage. Patschuli. Wir erinnern uns an die 70erjahre (oder lassen uns davon erzählen). Patschuli (englisch und französisch: Patchouli) war der Geruch, der auch in Wien indischen Kreppkitteln, griechischen Hirtenjacken, englischen Glockenhosen und Palästinenserschals entstieg. Auch die mit Kugelschreibergrafiken verzierten US-Armytaschen und das Haar der ProtagonistInnen jener Zeit roch nach dem süsslich-erdig-modrigen Gift. Aber was zum Teufel war (und ist) das für Zeug?

Patschuli ist ein braunes Öl, das aus den Blättern von Pogostemon cablin, einer minzartigen Pflanze extrahiert wird, die in warmen bis tropischen Gebieten Südostasiens angebaut wird. Für seinen durchdringenden Geruch sind das Sesquiterpen Patchoulol und das Terpenoid Norpatchoulenol verantwortlich, für seine antimikrobielle und insektizide Wirkung das Pheromon Germacren B.

Eine erste Konjunktur hatte der Geruch im Second Empire, als reiche Pariser Bürgerinnen in der Gegend um die Pariser Oper und das Grand Hôtel Kaschmir-Schals und indische Seide kauften, deren Stoffe zum Schutz vor Motten während des Transports in Patschuli-Blätter gewickelt waren. Der Duft blieb an Stoffen und Damen haften, Patschuli wurde zum erotisierten Markenzeichen für Tänzerinnen, Schauspielerinnen und Kurtisanen. Eine zweite Blüte erfuhr Patschuli durch die Hippies des Summer of Love. Mit Patschuli konnte der verfängliche Geruch von Marihuana erfolgreich überdeckt werden. Zuletzt war und ist Patschuli in der Gothicszene das Parfum erster Wahl, wohl wegen der erdig-süsslichen Aspekte, die dem Geruch modernder Grüfte zugesprochen werden.
comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

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