Wie zählt man Demonstrierende?

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 09/2016 zum 3.3.2016.

Liebe Frau Andrea,
wieso gibt die Polizei die Anzahl von Demobesuchern immer um etliches geringer an, als die Initiatoren der Demonstration? Ist das Kalkül? Welche Zahl stimmt eher? Wieso diese Diskrepanz?
MfG, Christoph Patak, per Wolkenkabelbrief

Lieber Christoph,

zu den großen Herausforderungen der Wahrnehmung gehört das Einschätzen von Mengen. Wir können eine Handvoll Reis gut als Handvoll Reis quantifizieren, aber wieviel Körner machen eine Handvoll aus? Um das zu ermitteln, müssen wir die Körner zählen. Wollen wir keinem Irrtum aufsitzen, werden wir die Körner ein zweites, und vielleicht sogar ein drittes mal zählen. Aus den Zählergebnissen werden wir, so sie differieren, einen Mittelwert nehmen. Wir werden vielleicht mit verschiedenen Reissorten experimentieren und mit verschiedenen Händen. Mit hinreichend großer Empirie werden wir ein Gefühl für die Schätzung der Handvoll Reis bekommen. Aber zählen auch die Reiskörner zwischen den Fingerritzen? Wie gehäuft darf die Handvoll sein? Ist die individuelle Hand jedesmal von gleichem Fassungsvermögen? Viele Fragen, noch mehr Antworten.

Eine ähnlich komplexe, aber umfangreichere Herausforderung ist das Schätzen von Menschenmengen. Wer je eine Party veranstaltet hat, erinnert sich an die Schwierigkeit, die genaue Anzahl der Besucher richtig zu zählen. Ab wann zählt man? Bis wann? Wer gilt als Besucher? Gelten Wiedergekommene als neue Besucher? Je grösser die Teilnehmeranzahl an einem Event, desto ungenauer werden Zählungen und Schätzungen ausfallen. Beliebte Methoden der Ermittlung sind das Einteilen bestandener Flächen in Quadrate, das Zählen derselben, und die händische Auszählung eines Referenzquadrats. Die Anzahl der Teilnehmenden sollte das Produkt aus Referenzquadrat und Anzahl der bestandenen Flächen sein. Die Methode kann mit Dichtekoeffizienten verfeinert werden. Demonstrationszüge können quantitativ erfasst werden, in dem die Anzahl der Passierenden mit Klickern gezählt werden. Behörden (und politische Gegner) neigen dazu, Teilnehmerzahlen eher zu erniedrigen, Organisatoren und Sympathisanten setzen dieselben generell höher an. Unabhängige Zählorgane für Demos wären indes ein Desideratum.
comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert