Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 51/2015 zum 16.12.2015
Liebe Frau Andrea,
letztens hatten wir in fröhlicher, später und multiethnischer Stunde einen Disput über die Wiener Institituon des Fiakers. Die beiden Ungarinnen am Tisch behaupteten felsenfest, der Fiaker wäre eine ungarische Erfindung. Aber net wirklich, oder etwa doch?
Liebe Grüße,
Gernot Brüxer, Landstraße, per Email
Lieber Gernot,
die Bezeichnung Fiaker für eine zweispännige Lohnkutsche rührt von einem Haus “Zum Heiligen Fiacrius”. Dieses stand allerdings nicht in Wien, und auch nicht in Budapest, sondern in Paris. Dort hatte an der Ecke “rue Saint-Martin” und “l’impasse Saint-Fiacre”, zur Zeit des Sonnenkönigs Ludwig des XIV. ein gewisser Nicolas Sauvage, Impressario der Kutschenlinie nach Amiens, ab 1640 damit begonnen, Lohnkutschen zu betreiben, die ihren Hauptstandplatz vor dem Hotel à Saint-Fiacre hatten. Es wurde in Paris bald üblich, zweispännige Mietkutschen als “Wagen des Hl. Fiacrius” (voitures de St. Fiacre) oder einfach als fiacres, Fiaker zu bezeichnen, wobei sich der Name nicht auf das Wirtshaus, sondern auf dessen Hauszeichen, ein Bildnis des Heiligen bezog.
In Wien wurden Fiaker, die Vorgänger der Taxis, um 1670 gebräuchlich. Die erste Lizenz in Wien wurde 1693 erteilt. Um 1700 zirkulierten in Wien schon an die siebenhundert Fiaker. Im Fin de Siècle waren es über tausend. Viele Fiaker wohnten in der “guten alten Zeit” bei Ihnen im 3. Bezirk, im so genannten Fiakerdörfl beim heutigen Fiakerplatz. Also nichts Ungarisches?
Oh doch. Kommt doch das Wort Kutsche, der Begriff für den gefederten, gedeckten, von Pferden gezogenen Wagen vom ungarischen ”Kocsi” (aus Kocs). Kocs (ausgesprochen: Kotsch) ist ein kleines, bei Györ gelegenes Dorf im nordungarischen Komitat Komárom-Esztergom. Über sprachliche Zwischenformen wie Cotschie, Gutsche, Gotzi, Kotsche, Kutze etablierte sich im Deutschen das Wort Kutsche. Auch in anderen Ländern wurde Kocsi zum Begriff und entlehnt als Coach (englisch), cotxe (katalanisch) Coche (französisch, spanisch, portugisisch), Cocchio (italienisch), Kocz (polnisch), Koets (niederländisch), kusk (schwedisch) Kočija (slowenisch, kroatisch), Kočár (tschechisch). Ironie der Pferdewagengeschichte: Die original-ungarischen Kotsi waren leichte ungefederte Wagen aus Korbgeflecht. Hossa! Éljen a Magyar!
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