Für meine Kolumne FRAGEN SIE FRAU ANDREA in Falter 43/2015 zum 21.10.2015
Liebe Frau Andrea,
hat das schon mal jemand geklärt, warum die Wiener Bim rot-weiß-rot angestrichen ist? Ist das nicht etwas zu nationalistisch?
Alexander Kloibmühlpointner,
Neubau, per Email
Lieber Alexander,
den Vorwurf des Nationalismus können wir, zumindest, was ihre Tingierungsstrategen betrifft, von den Wiener Linien nehmen (bis 1999 firmierten sie als Wiener Stadtwerke – Verkehrsbetriebe). Zwar gondelten schon unsere Urgroßeltern in Straßenbahnwägen durch Wien, die rot und weiß lackiert waren, deren Farbe kommt aber nicht vom Rotweißrot der österreichischen Fahne, sondern vom Wiener Wappen, das ein weißes Kreuz auf rotem Grund darstellt.
Wie die das Banner der republikanischen Schweiz und der Danebrog, das heiligmässige Fahnentuch der Dänen, das nach der Legende 1219 in einer Schlacht gegen die Esten vom Himmel gefallen ist, kommt das weiße Wiener Kreuz auf rotem Grund von der alten Reichsfahne des Heiligen Römischen Reichs. Da dessen Kaiser traditionell den Adler als Zeichen führten, lag bei Heerfahrten eine Verwendung des Kreuzbanners nahe, zumal dieses Zeichen dem Schutzpatron des Heeres zugeschrieben wurde, der schon im frühen Mittelalter als Anführer der himmlischen Heerscharen und Bezwinger Satans in hohem Ansehen stand.
Ist doch der Fahnenfarbenträger Wiens niemand geringerer als der Heilige Michael, hebräisch Mīkā’īl, genauer: Mi kamocha elohim, oder “Wer ist wie Gott“. Seit der Schlacht auf dem Lechfeld, wo am 10. August 955 die Ostfranken unter Otto dem Großen die Magyaren vernichtend besiegten, gilt der Erzheilige als Schutzpatron des Heiligen Römischen Reiches. (Zuletzt wird das rote Reichsbanner mit dem weißen Kreuz übrigens 1683 bei der Entsetzung Wiens gebraucht.) Die Wiener Strassenbahnen sind, zumindet der Farbe nach also Himmelsfahrzeuge und Satansbezwinger. Erzengelkutschen. Auch wenn der amtierende Bürgermeister damit nicht in direkten Zusammenhang gebracht werden kann: Michelbims. Das apokryphe 1. Buch Henoch beschreibt Michael als Führer und Lehrer, der Henoch unter anderem den Baum des Lebens, sowie “alle Geheimnisse der Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, (…) alle Geheimnisse der Enden des Himmels und alle Behälter aller Sterne und Lichter“ zeigt. Also doch die Stadtwerke.
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