Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 10.10.2015.
Oft genug tritt uns die Europäische Union als Übermutter entgegen, schilt uns und verbietet, nimmt uns Zigarettenrauch und Dieselruss, Glühbirnen und Gartenfrüchte, eiert herum in Fragen der Menschlichkeit, schlägt den Esel, wenn es den Sack meint, und gibt sich unredlich Mühe, ein Bild innerer Zerissenheit und äusserer Konturlosigkeit zu bieten. Bisweilen schafft die Union aber auch Mögliches und erfindet Dinge. Respektive findet Dinge. Soeben hat die Europäische Union das Insekt gefunden. Mittelmeer und Atlantik sind leergefischt, Rinder gasen zuviel aus, Eier wollen bodennah gelegt werden und Schweine glücklich leben. Den traditionellen Proteinlieferanten sollen neue Edibilitäten zur Seite gestellt werden. Asien und Afrika ernährt sich schon seit langem von essbaren Kerbtieren.
In Nachtalkoholikerkreisen ist der Wurm schon länger drin. Seit 1950 sind die Freunde des mexikanischen Agavensprits Meczkal mit den Schmetterlingsraupen der Art Aegiale hesparidis und Hypota agavis vertraut. Ein gewisser Hacopo Lozano Páez hatte herausgefunden, dass Meczkal aus raupenbefallenen Agavenblättern besser schmeckt, als der aus unbefallenen. Aus dem Marketinggag, einen Agavenwurm in jede Flasche einzulegen, wurde ein Alleinstellungsmerkmal.
Bei den Vokabeln Allein, Stellung und Merkmal sollte Österreich hellhörig werden. Darf man Vorschläge machen? Wie wäre es mit Sliwowitz mit eingelegter Pflaumenwicklerlarve? Wie mit Zirbenschnaps con Kiefernrüsslerraupe? Welchem Obstler stünden welche heimischen Fruchtbohrer zu Geiste? Eine Konsultationsindustrie könnte Ursprungsregionen definieren und Gschmacksbezirke etablieren. Auf geht’s!
Auch in der Kochkunst kann die österreichische Gourmetindustrie dem essbaren Insekt mit Zuversicht begegnen. Werden wir bald gebackene Heuhupfer essen? Mehlwurmsulz? Panierte Zitronenfalter? Geröstete Hirschkäfer im Brunnenkressebett? Welcher Gourmetgau wird als erster rüstiges Raupenschlemmen anbieten, Genussurlaub am Grillenhof und Kochkurse für Käferfreunde? Das Wanzenparadies Weinviertel? Die Libellenheimat Lunz? Das zikadenreiche Zillertal?