Landesgetränke

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Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 29.8.2015.
Im November 1956, während des Ungarischen Volksaufstands, flohen innerhalb weniger Wochen rund hundertachtzigtausend Menschen über die burgenländische Grenze nach Österreich. 1968, in Folge der Niederschlagung des Prager Frühlings ergoss sich ein fast ebenso großer Flüchtlingsstrom ins kleine Österreich. 1981/82, nach der Verhängung des Kriegsrechts in Polen, suchten mehr Menschen Schutz und Zuflucht bei uns, als Salzburg Einwohner hat. Die Aversionen und Ressentiments gegen Asylsuchende aus diesen Ländern hielten sich in Grenzen. Im Gegenteil, Österreich etablierte sich als Land der Hilfsbereitschaft, als sicherer Hafen in bitterer Not. Warum ist das heute anders? Warum trifft die politische Agitation der Kicklpartei (und die fahrlässige Untätigkeit der Regierungsparteien) auf relativ breite Zustimmung in der Bevölkerung? Ist das Boot voll? Keineswegs. Wir dürfen andere Gründe namhaft machen.
In der familiären Erinnerung der meisten Österreicher ist Krieg gleichbedeutend mit Generalmobilmachung. Kein Mann im waffenfähigen Alter entkam der Nazi-Kriegsmaschinerie – egal ob freiwillig oder unfreiwillig. In der Erinnerung der Österreicher ist der kriegsflüchtige junge Mann aber niemals ein guter Mann. Ein Flüchtender im waffenfähigen Alter war entweder Desserteur, Feind, oder politisch/rassistisch Verfolgter. In der damaligen Ideologie (sie hallt nach) waren das Verbrecher. Waren die Männer “hiesige“, waren es Fahnenflüchtige, Kameradenschweine, „Judenpack“, „Zigeunergesindel“. Den guten Flüchtling sah man erst im Rückkehrer aus der Kriegsgefangenschaft, und in den Vertriebenen aus den Sudentengebieten.
Indem der Großteil der syrischen, afghanischen, tschetschenischen und pakistanischen Flüchtlinge von jungen Männern gestellt wird, werden diese alten Reflexe der hasserfüllten Ablehnung mobilisiert. Es ist der junge männliche Zivilist, den die rechten und aufrechten Österreicher als „böse“ wahrnehmen. Auch wenn die Realität eine ganz andere ist. Die Milch des Vergessens wurde über andere Dinge geschüttet.
Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 29.8.2015.

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