Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 34/2015.
Liebe Frau Andrea,
seit wann werden Geburtstage eigentlich allgemein mit Glückwünschen, Geschenken und Gebäck zelebriert? Also nicht „Kaisers Geburtstag“ als öffentliche Huldigung durch das Volk – sondern private Geburtstage? Wurden die auch vom Floristenverband erfunden wie der Valentinstag oder von Krawatten-Fabrikanten wie der Vatertag? Von Tortenbäckern gar?
Neugierig, Ihr Armin Wolf,
von unterwegs gesendet
Lieber Armin,
ich darf Sie beruhigen, hinter der Idee der Geburtstagsfeier steckt keine Professionistengruppe. Statistisch gesehen finden Geburtstage an fast allen Tagen des Jahres statt – mit einer auffälligen Häufung in der zweiten September-Hälfte. Dafür gibt es einen Grund. Neun Monate zuvor, während der kuscheligen Weihnachtsferien, werden die meisten Kinder gezeugt. Umgekehrt haben signifikant weniger Menschen an gesetzlichen Feiertagen Geburtstag. Das liegt vor allem an der Geburtenpolitik der Krankenhäuser. Für die September-Geburstägler extra eine Marketingoffensive zu fahren, ist der Industrie bisher noch nicht eingefallen. Immerhin zehn Prozent Zuwachs im Torten- und Geschenkesegment würden die statistischen Daten für die Septembermitte erwarten lassen. Erfunden haben das Geburtstagsfest je nach Betrachtungszeitraum und hermeneutischer Ideologie die ägyptischen Gottkönige, die längerdienenden unter den römischen Kaisern, die Senatorenfamilien und der europäische Hochadel. Das gesamte Mittelalter indes stand der Compleanno weitgehend im Schatten des Geburtstages aller Geburtstage, der jährlichen Wiederkehr der Niederkunft Mariens mit dem Gottessohn. Weihnachten ist der Obergeburtstag. Im Zuge des Aufkommens bürgerlichen Selbstbewusstseins sickerte das Feiern von Geburtstagen dann langsam nach unten. Je protestantischer die Herkunft, desto wahrscheinlicher wurde das Feiern des individuellen Wiegenfestes. Katholische Länder hielten lange Zeit den Namenstag für das wichtigere Jahresfest. Für die verlässliche Infektion der Bevölkerung mit den zentralen Brauchtumsingredienzien Gesang, Geschenk und kerzenbeleuchteter Torte sorgen die Kindergärten in unseren Breiten. Hier werden auch erste Erfahrungen im Kerzenausblasen und Kronetragen gemacht. Eine alte ägyptische Kulturtechnik also.
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