Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 8.8.2015.
Würden in dem Lager Hunde auf diese Weise gehalten, ein Aufschrei ginge durch Österreich. Die Erregung wäre groß, müßten kleine süße Welpen im Freien schlafen – in brütender Hitze und im kalten Regen. „Tierquälerei!“ würden die Hundefreunde schreien, „Bestien!“, „Unmenschen!“. Und recht hätten sie. Im Lager von dem wir sprechen sind aber keine geängstigten Hunde zusammengepfercht und keine süssen Welpen, sondern Menschen. Frauen, Männer, Kinder, Babys. Manche alleine, ohne Eltern.
Wer sich ohne die Gnade der frühen Ankunft im Lager Traiskirchen aufhält, wer also nicht in überfüllten Zimmern, Sälen, Gängen nächtigen kann, muss im Freien schlafen. Auf dem Rasen, auf dem Asphalt der Wege. Das muß man sich vorstellen. Das eben erst gerettete Leben auf dem nackten Erdboden zu verbringen. Dies ist weit entfernt von unseren Erfahrungen mit der Planetennarbe – vom Erlebnis eines Picknicks auf gepflegtem Rasen etwa. Vom überschaubaren Abenteuer, das frischgewaschene Handtuch im Park auszubreiten, oder im Sand, am Urlaubsstrand.
Kein Dach über dem Kopf zu haben, ist das schiere Erlebnis, kein Mensch mehr zu sein. Ist der Verlust jeder Würde, jeder Privatheit. Der Verlust? Das Beraubtsein jeder Würde. Leben ohne Dach über dem Kopf bedeutet ein Menschsein unter elementaren Bedürfnissen. Elementar im Wortsinne. Ausgeliefert der Suche nach Schatten, nach Geborgenheit vor Wind, nach Schutz vor Regen. Von hygienischen Bedürfnissen ganz zu schweigen.
Wer dies Menschen antut, macht sich schuldig. Wer dies andere gewähren lässt, macht sich mitschuldig. Die Gründe, kein Dach über dem Kopf zu gewähren, in einem der reichsten Länder dieses Planeten, sind sattsam bekannt. Kein einziger Grund kann halten angesichts dieser Situationen. Kein Gesetz, keine Angst, kein Hinsichtl, kein Rücksichtl, keine Befindlichkeit rechtfertigt es, Menschen solches anzutun.
Das Boot ist voll, sagen die Gemeinden, die Bürgermeister, die Landeshauptleute. Es gibt mehr als ein Boot, muss das Herz sagen.
Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 8.8.2015.