Hitler, Sissi, Winnetou

Für die Salzburger Nachrichten Magazin vom 25.8.2015, pg. 7.

Der deutsche und österreichische Nachkriegsfilm spiegelt das Dilemma der Zeit. War man Täter oder Opfer? Wollte man aus der Geschichte lernen oder sie möglichst schnell vergessen? Essay von Andrea Maria Dusl

Der Film, le septième art, die siebente Kunst und im Verständnis seiner Kenner die umfassende, ist auf tragische Weise mit dem Aufstieg des Dritten Reichs und damit mit der Geschichte Deutschlands und Österreichs verbunden. Sehr früh erkannten die Nationalsozialisten die propagandistischen Möglichkeiten des Mediums Film. Die bewegten Bilder dienten als Kraftarm für die Gleichschaltung der Gesellschaft und die Durchdringung des “Volkes” mit Struktur und Inhalten totalitären Denkens.

Jedes Genre wurde missbraucht.

Die Präsenz filmischer Mittel im Nationalsozialismus ist einer der Gründe für die Sonderentwicklung, die das Medium nach dem Zusammenbruch des Faschismus genommen hat. Der Film ist nach Hitler, nach der “Stunde Null”, ein anderer. Der Film hat seine Reinheit für immer verloren. Produzenten und Publikum spiegeln in ganz spezifischer Weise die politische Verfasstheit der Zeit in das Medium.

Von welcher Zeit aber sprechen wir? Wann begann sie, wann endete sie? Mit der Beseitigung der Trümmer? Der Rückkehr der Kriegsgefangenen? Mit dem Abzug der Besatzungsmächte? Dem Anbranden des deutschen Wirtschaftswunders? Mit dem Bau der Berliner Mauer? Mit ihrem Fall gar? Die Erinnerung webt Zeiten und Ereignissen zu Mustern. Entwicklungen werden erst aus der Entfernung sichtbar. Geschehenes schiebt sich zu Geschichte zusammen. Erinnertes vermischt sich mit Erzähltem, Erfahrung mit Deutung.

Alles überragt der Sissifilm. In diesem falschen Satz steckt viel richtiges. 1955, zehn Jahre nach Kriegsende, dreht der österreichische Komödienspezialist Ernst Marischka den Herz-Schmerz-Schinken Sissi, katapultierte damit Romy Schneider in den Filmhimmel und Karl-Heinz Böhm etwas tiefer daneben. Die Trilogie um Franzl und Sissi wird im Jahresrhythmus mit zwei Fortsetzungen komplettiert und gerät zu einem der bekanntesten und erfolgreichsten deutschsprachigen Kinoereignisse aller Zeiten. Bei aller Verklärung – in ihrem Kern erzählen die Sissifilme vom Anschluss. Am kitschtriefenden Beispiel einer dynastischen Familienepisode: Liebesdinge und Heiratssachen der schüchternstolzen Bajuwarin Elisabeth und des bergdeutschen Jungkaisers Franz-Joseph. Der Kulturkniff gelingt: Um dem Unaussprechlichen der jüngeren Geschichte (zumindest österreichseits) zu entkommen, wird das historische Themenrad zurückgedreht. Die handelnden Personen werden als Opfer der Umstände, Berater und Einflüsterer als die eigentlichen Täter dargestellt. Der Erfolg der Sissi-Filme ist psychotherapeutischer Natur, seine Botschaft ist simpel: Das Buch der Geschichte hat viele Seiten. Der Untergang im Krieg ist nicht die einzige Erzählung. Auch die Hofburg, der Försterwald und der Erbbauernhof bieten Schicksalshaftes mit Endzeitstimmung. Viele Heimatfilme der Zeit sind Wiedergänger alter UFA-Produktionen, die nur oberflächlich der Blut-und-Boden-Schwere der Vorbilder aus der NS-Zeit entsagten, insgesamt aber von Kampf und Entbehrung künden. In gewisser Weise erzählen auch die Myriaden an Peterfilmen, Blödelstreifen mit Gesang, exemplarisch vorgeführt von Peter Alexander, Peter Kraus und Peter Weck vom Scheitern. Dem großen, weitgehend in die Komödie ausgelagerten Thema Deutschlands.

Der andere Filmstoff, in dem sich Deutsche (und Österreicher) wiederfinden, entsteht viel später und markiert das satte Ende der Nachkriegsfilmerei. Seichte und betulich wird die Geschichte einer frischeren Freundschaft thematisiert. Die Blutsbrüderschaft zwischen Deutschen und Amerikanern. Die Liebe zwischen Old Shatterhand (dem Alter Ego des Nationalschriftstellers Karl May) und dem edlen Wilden aus der Neuen Welt, dem schönen Häuptling Winnetou ist (zumindest in der Verfilmung) nichts weniger als eine Metapher für die transatlantische Allianz. Österreicher lesen den Film anders und meinen sich im Volk der Apachen wiederzusehen.

Die Cowboy-und-Indianer-Klamotte ist nur der harmlose Endpunkt martialischer Filmerzählkunst im Nachkriegsdeutschland. Mit der Wiederbewaffnung Westdeutschlands hat sich das Genre Kriegsfilm an der Kinokasse bemerkbar gemacht, die Stoffe stammen von Romanautoren wie Kirst und Konsalik. Die Streifen heroisieren den deutschen Soldaten als tapferes, aber weitgehend unpolitisches Opfer – Vergangenheitsbewältigung wird auf militärischen Widerstand gegen Hitler reduziert. Analytische Tiefenbohrungen gelingen seltener – so G.W. Pabst 1955, mit dem Film “Der letzte Akt” über das Lebensende Adolf Hitlers. (Der Führer ist der einzige Österreicher in diesem Genre.)

Seinen Ursprung nimmt der deutsche Trümmerfilm gleich nach dem Krieg, in der russischen Besatzungszone. Für die Ostberliner Defa dreht der Sohn eines Schauspielerehepaares und gelernte Autoschlosser Wolfgang Staudte 1946 “Die Mörder sind unter uns”, den ersten deutschen Nachkriegsfilm. In Mittelpunkt stehen Fragen von Schuld und Vergeltung für barbarische Kriegsverbrechen. Der politische Linke und erklärte Antifaschist Staudte widmet sich auch in seinen anderen, im deutschen Osten gedrehten Filme seinem zentralen Anliegen: Das fatale Verhältnis des Spiessers zur Macht zu zeigen – und den blinden Autoritätsglauben des deutschen Bürgers. In “Rotation” (1948/49) erzählt Staudte die Wandlung eines unpolitischen Druckereiarbeiters zum Nazi-Mitläufer und schliesslichen Regimegegner. Sehen will das kaum wer.
In Adenauers Bundesrepublik begreift man Staudtes Filme als ostzonale Propaganda: Der Regisseur wird als “Unruhestifter”, Nestbeschmutzer” und “ideologisch motivierter Provokateur” beschimpft. Seine Filme polarisieren Publikum, Kritik und die Politik. Das Westdeutschland des Kalten Kriegs punzierte den Aufarbeiter zur ungewünschten Reizfigur. Die Folgen der Ablehnung bekommt Staudte mit seinem Wechsel nach Westdeutschland hautnah zu spüren. Der dortigen Politik und Filmwirtschaft ist der streitbare Aufklärer suspekt. Staudte hält sich mit Hauptmann- und Spoerl-Verfilmungen über Wasser. Seinen Finger in die deutsche Wunde legt er schliesslich wieder in „Rosen für den Staatsanwalt“ (1959). Der Film porträtiert einen Richter, der noch am Ende des Krieges Todesurteile verhängt hat und nun, in der Bundesrepublik des Wirtschaftswunders, zu neuem Ansehen gekommen ist. Auch mit “Kirmes“ (1960) und “Herrenpartie“ (1963) bleibt Staudte seiner politischen Linie treu, landet im hier und jetzt, brandmarkt die kollektive Verdrängung nationalsozialistischer Gräuel durch seine vom Wirtschaftswunder-Rausch erfassten Landsleute. Staudte bleibt provokanter Aussenseiter. Die wenigsten seiner späten Kinoarbeiten werden kommerzielle Erfolge. Im Fernsehen gelingt ihm mit dem Jack-London-Mehrteiler “der Seewolf” und Arbeiten für “Tatort” zumindest handwerklich respektables. Am 19. Januar 1984 stirbt der Mahner und Aufrüttler bei Dreharbeiten in Slowenien.

„Die vornehmste Aufgabe unserer Zeit ist zu vergessen“, postuliert eine der Hauptfiguren in “Herrenpartie”. Staudte wollte das Gegenteil.

Andrea Maria Dusl für die Salzburger Nachrichten Magazin vom 25.8.2015, pg. 7.

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