Hoffnungsprojekt Semikolon

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 30/2015.

Liebe Frau Andrea,
erst habe ich das kleine Tattoo bei einer Kellnerin gesehen, direkt über den Pulsadern, dann neulich in der Bim und heute im Bad. Ein Punkt und darunter etwas, das wie ein Beistrich aussieht. Gibts da eine Bedeutung dazu und wenn ja, wissen Sie mehr darüber?
Lieben Dank,
Nele Widesott, per Facebookdirektnachricht

Liebe Nele,

Sie haben richtig gesehen. Bei den von Ihnen beobachteten Hautmarkierungen handelt es sich um Tätowierungen. Das dargestellte Symbol – Punkt und Beistrich – ist tatsächlich ein typographisches Zeichen: Das Semikolon, im Deutschen etwas weniger prosaisch Strichpunkt genannt. Mit diesem Zeichen werden Teilsätze und Wortgruppen voneinander abgegrenzt. Es wird damit ein stärkeres Maß der Separation zum Ausdruck gebracht als mit dem Beistrich (Komma) und ein geringerer als mit dem Punkt (Kolon). Im Griechischen fungiert das Semikolon übrigens als Fragezeichen (das Semikolon ist dort der hochgestellte Punkt). Das erste gedruckte Semikolon setzte der italienische Drucker Aldus Manutius d. Ä. 1494 in die Welt. Als erster bekannter Autor verwendete der englische Dramatiker und Dichter Ben Jonson (1572 -1637) das Zeichen. Wann und warum aber büchste der Strichpunkt auf die Haut aus? Der Semikolonismus begann im Frühjahr 2013 als Blog-Projekt der US-amerikanischen Fotografin und Grafikdesignerin Amy Bleuel. Sie wollte damit ihres Vaters erinnern, den sie durch Selbstmord verloren hatte. Auch Bleuels eigene Lebensgeschichte prägten Episoden von Depression, Selbstverletzungen, Abhängigkeit und psychischen Erkrankungen. Im Internet-Projekt “Semicolon” sollte zum Audruck kommen, so Bleuel, dass die eigene Geschichte noch nicht vorüber sei. Dass man Autorin derselben sei und sich dafür entscheiden könne, dass diese weitergehe. Im Rahmen des schnell wachsenden Projekts und seiner zahlreichen Multiplikatoren wurde in den sozialen Netzwerken dazu aufgerufen, Bilder von Handgelenken zu posten, auf die Semikolons aufgemalt waren. Der Semicolonstorm wurde stärker. Aus den Zeichnungen wurden bald Tattoos. Mittlerweile sind Millionen Betroffene; stolze Träger des lebensbejahenden Strichpunkts; Fortsetzung folgt;

www.comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert