Wie Österreichs Politiker
den Sommer verbringen

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Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 4.7.2015.
 
Der österreichische Sommer, traditionell “Urlaub” genannt und schulfrei gestellt, speist sein Gedächtnis aus drei Quellen. Sie entspringen tief in der Klassengesellschaft des Absolutismus. Das Gebiet des heutigen Österreich war innerhalb der Lothringisch-Habsburgischen Besitzungen ein mäßig industrialisiertes Bauernland. Kinder konnten sommers nicht in die Schule gehen, ihren Eltern brauchten sie auf dem Feld. Zur Einbringung der Ernte. Es waren harte Zeiten für kleine Kinderkörper. Hart und heiß. Wer die Kindheit überlebte, wurde Bauer und Bäuerin oder Magd und Knecht. Aus der agrarischen Notwendigkeit entsprangen die schulischen Sommerferien und mit ihr die Ferialabsenz von Schullehrerenden und Universitätsprofessorium.
 
Nicht nur die Bauern, auch die Großgrundbesitzer und Aristokraten mussten im Sommer auf den Acker. Die Herren sahen auf den fernen Gütern, deren Fruchtgenuss ihnen Reichtum und Stand sicherte, nach dem Rechten. Das hatte direkten Einfluss auf die Verwaltung. Amtsstuben wurden dichtgemacht, Landtage tagten nicht, die Parlamente schwiegen. Ministerien und Ämter reduzierten ihre Aktivitäten auf das Luftzufächeln mürrischer Portiere. Die Familien der Begüterten reisten gleich mit auf die Güter. Wer kein Gut hatte, aber Geld, fuhr ebenfalls aufs Land. Schaute dem Landvolk beim Roboten zu, las in klugen Büchern, erfreute sich an der Natur. Die Sommerfrische war erfunden. Die Luft flirrte vor Hitze und lustigen Gewittern, es roch nach Kaiserschmarrn, im Kurpark spielte die Kapelle. Wer es den russischen Aristokraten nachmachen wollte, fuhr ans Meer und kurierte Rachitis und Winterdepression. So entstand jeglicher Strandurlaub. 
 
Freilich sind mittlerweile die Standesgrenzen ausgefasert. Die reichen Bauernkinder fliegen auf die Malediven und lassen sich bedienen. Das verarmte Bürgertum urlaubt auf Balkonien und fächelt sich Stadtluft zu. Der alte Adel erntet schollennah Biogemüse. Urlaubszeit ist Arbeitszeit. Auch für die Kaste der Politiker.
Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 4.7.2015.

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