Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 24/2015.
Liebe Frau Andrea,
unlängst dachten wir drüber nach, woher die wienerische Formulierung „neger sein“ stammt. Den Zusammenhang mit dunkelhäutigen Menschen will ich nicht erkennen, viel mehr hab ich das französische „nègre“ im Verdacht, denn wenn im Portemonnaie nichts ist, blickt man beim Blick in eben jenes eben nur ins Schwarze. Allerdings ist man ja – so ganz ohne Kohle – ja auch abgebrannt. Aber was dilettier’ ich da rum, ich frag lieber jemanden, der sich auskennt.
Liebe Grüße und schon mal besten Dank für die Antwort,
der Christoph Reicher, per Email
Lieber Christoph,
das rassistisch besetzte, erst im Zuge des Kolonialismus ins Deutsche übergetretene “N-Wort” mag in manchen Volksetymologien noch als Ursprung unseres Begriffs herumspuken, tatsächlich liegen die Dinge (auch in der Schreibweise) anders. Mit “néga sein” und “néga gehn” bezeichnet der Wiener den (momentan) geldlosen Zustand, beziehungsweise das zur Neige gehen der Liquidität. Erst spät ist der “Négerant” zu lyrischen Ehren gekommen. Reimtechnisch liegt hier eine Anspielung auf “Fabrikant” vor, inhaltlich eine auf “Nebbochant” (Kleinkarierter, Schnorrer). Blondel Rainhard Fendrich hat die groteske Überzeichnung des zahlungsunfähigen Schwindlers in einem Schlager untergebracht. Zurück zum unserem Begriff. Der Familienname “Neger” hilft uns insoferne weiter, als er von der alten Berufsbezeichnung “Näher”, “Neher” kommt und der Schneiderberuf auch im alten Wien gemeinhin mit Schulden verbunden wurde. Im Wienerischen heißt die Näherin allerdings “Nodarin”. Auch eine andere handwerkliche Betätigung fällt für der Ursprung von “néga” aus, das Bohren von Nabenlöchern. Mit Neiger, Näbiger, Naber, Neber bezeichnte man das spitze Eisen (gêr) mit dem man eine Nabe bohrte. Den Hinweis auf den sehr wahrscheinlichen Urprung von “néga” hielten wir indes schon kurz in der Hand. Es ist die Neige, altwienerisch die Nāg, das Zuendegehen des Vorrats. Tschecheranten (Alkoholikern) und ihren Beobachtern ist das Wort als Nāgl, Nāgerl, dem flüssigen “Restl” in etwas deutlicher Erinnerung. Wollte man dennoch jeglichem Rassimusverdacht ausweichen, und “néga” vermeiden, griffe man zu Begrifflichkeiten wie “schdia” sein, “floch”, “sockbaads” oder “walád”.