Käferkunde

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Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 30.5.2015.
Überall ist der Käfer. An den Wurzeln nagt er, in der Rinde bohrt er, er fliegt herum, er krabbelt, er schadet. Unsereins muss auf zwei Beinen durch des Schicksals Mühen trippeln – der Käfer wandert mit sechs. Über jedes Hindernis. Bergauf, bergab, die Wände entlang, rein ins Versteck, raus aus dem Versteck. Ohne Unterlass. Der Käfer kommt beobachteterweise auch gerne aus dem Ausland. In schädlicher Absicht. Als Bug versteckt er sich in den Programmen, die wir auf unseren Computern betreiben, zuhause, im Büro, in der Amststube. Ist der Bug wo drinnen, funktioniert nichts mehr. Die Milch geht über, den Schlüssel lassen wir liegen, der Bus kommt zu spät oder wir zu spät zum Bus. Der Käfer ist an allem Schuld. Das war nicht immer so.
In Zeiten vor dieser konnte der Käfer noch begeistern. Der Herr Doktor hatte einen, glänzend rot und rund. Sein Knattern war von weither zu hören, er raste durch Land und Gassen, brachte Hustensaft und Pillen, mass Fieber und den Blutdruck. Auch die Post fuhr Käfer, schwarz waren seine Flügel, mayonnaisefarben sein Leib. Die Schanti fuhren den Käfer grau. Das hatte Eleganz und Phlegma. Der Käfer war das Maß. Wer schneller war als der Polizistenkäfer, hatte ein Problem. Und wenn er keins hatte, bekam er eins.
In Zeiten vor dieser war der Käfer noch gut. Zwar nagte er schon damals Wurzeln, bohrte Rinde, flog ins Haar, krabbelte in die Maschinen, aber der Käfer gehörte zu uns. Und wir zum Käfer. Es gab Lieder auf ihn – Maikäfer flieg! War er ein Marienkäfer, galt es, seine Punkte zu zählen, war es ein Hirschkäfer mit Zwickelust, konnte man ihn gegen Kaugummi eintauschen, gegen ein STP-Abziehbild für die Schultasche oder gegen eine Autogrammpostkarte von David Zwilling. Der Käfer war noch was, damals.
Den alten Ägyptern war der Skarabäus bekanntlich heilig. Er war Sinnbild des Chepre, “der aus sich selbst entstand”. Seine Leidenschaft, große Dungkugeln zu rollen, war ein Symbol für den Lauf der Sonne. So unösterreichisch ist das nicht. Auch hier entstehen die Sachen aus dem Nichts, riechen nach Dung und rollen durch den Tag. Der betreibende Käfer heisst hierzulande Koffer.
Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 30.5.2015.

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