Feuchtbiotop Rotenturmstraße

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 15/2015.

Liebe Frau Andrea,
nach elendslanger Zeit bin ich mit alten Studienkollegen mal wieder im Bermudadreieck eingekehrt. Einer von uns wusste dunkel zu berichten, dass der Wienfluss mal durch die Rotenturmstraße geflossen sei. Man könne noch heute die Eintiefung sehen. Das kann aber nicht stimmen, oder? Bitte um hydrologische Aufklärung!
Vielen Dank und Bermudagrüsse,
Johannes Fröhlich, Karmeliterviertel, per Email

Lieber Johannes,

der harmlos plätscherde Wienfluss ist nicht nur Namensgeber der Stadt, sondern auch Urheber großer Teile der Wiener Topographie, kann er doch bei Unwettern zum reissenden Strom werden. Als Gebirgsbach, der große Teile des Wienerwalds entwässert, hat er sich tief in die Schotterterassen eingeschnitten, auf denen die Stadt sich ausgebreitet hat. Durch die Rotenturmstraße ist die Wien allerdings nie geflossen. Ihr Bett ist wesentlich breiter und tiefer gelegen, aber es verläuft immerhin parallel, ein paar hundert Meter weiter südöstlich. Zwar liesse die hohlwegartige Anmutung der Rotentumstrasse auf ein Bachbett schliessen, sehr wahrscheinlich geht deren Eintiefung aber mit ihrer Funktion als (vermutlich schon prähistorischem) Verkehrsweg einher: Ein Ast der Bernsteinstrasse überquerte genau hier die einst zahlreichen Donauarme. Ein Gewässer gab es dennoch in umittelbarer Nähe. Im Mittelalter (und vermutlich schon zu Zeiten des Römerlagers Vindobona) floss hier, vom Graben kommend, ein Gerinne, das Möring (Moric, Mörung) genannt wurde und als zentraler Abwasserkanal der Stadt genutzt wurde. Die Möring floss im Strassenzug parallel zur heutigen Rotenturmstrasse, im Graben des einstigen Römerlagers. Beim Lichtensteg führte, wie schon der Name andeutet, eine kleine Brücke über das Gerinne, auf der die Fleischhauer ihre Schlachtbänke betrieben. Im Zuge von Kramer- und Rotgasse (einst Kotgasse genannt), sowie des Rabensteigs (früher: “Auf der Möring”) mündete der Abwasserbach beim Roten Turm in den heute Donaukanal genannten Stadtarm der Donau. Mit Möring bezeichnete man generell ein städtisches Kanalgewässer, das Wort ist eng verwandt mit Moor, Morast und Mure, ja auch mit so entfernten und gewissermassen mondänen Ortsbezeichnungen wie den Sümpfen des Pariser Marais.

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