Das Schweigen der Nebentische

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU CHARLIE‘ in Falter 06/2015.

Liebe Frau Andrea,
meine Freunde und Freundinnen – soviel Zeit bzw. Platz muss sein, gehen einmal pro Woche ins Kino und diskutieren den gesehenen Flm im Wirtshaus in voller Lautstärke. Von Nachbartischen bekamen wir zu hören, ein sehr interessanter Abend sei das gewesen. Auf eigene Konversation habe man verzichtet. Jetzt treten wir bereits  in verschiedenen Caféhäusern in Graz  „ungebeten“  aber „gratis“ auf . Zuhören okay – Mitdiskutieren unerwünscht! Können Sie uns mitteilen, welche Lokalitäten in Wien für unseren „Cinema Talk“ in Frage kämen?
UAWG – Danke& Liebe Grüße
Dietmar Werner, Graz/Wien, per Email

Lieber Dietmar,

zunächst darf ich mich freuen, dass Sie und Ihr Kreis ins Kino gehen. Als Filmemacherin ist dieses Bekenntnis zu meinem Kernmedium willkommener Anlass für Freude und cinematographische Zuversicht. Auch Ihre Reflexionen auf das Gesehene, Sie beschreiben diese sehr eindrucksvoll als eine Diskussion in “voller Lautstärke”, begrüsse ich leidenschaftlich. Kommen wir zu Ihrer Frage. Der Zielrichtung derseben darf ich entnehmen, dass Sie und ihr Diskursrund mit den Gegebenheiten Wienerischer Kinokultur, ja mit den Rahmenbedingungen des Sprechens in Wiener Lokalen nicht vertraut sind. Ich darf helfen. Wiener gehen in Kinos, auch in Freundesgruppen. Sie gehen auch nachher gemeinsam wohin. Und ja, sie sprechen auch über den gerade gesehenen Film. Miteinander. Hier enden jegliche Ähnlichkeiten mit dem von Ihnen in Grazer Kaschemmen etablierten “Cinema-Talk”. Mir fiele kein einziges Lokal in Wien ein (und ich kenne derer zu viele), in dem irgendjemand an den Gesprächen des Nebentisches interessiert wäre. In der Regel ist man nicht einmal an den Gesprächen des eigenen Tisches interessiert. Ich mag mich irren, aber in doch gut fünf Jahrzehnten Wienerischer Lokalbegehungen ist mir kein einziger Vorfall (selbst erlebt oder kolportiert) in Erinnerung, der Ihrer Grazer Idee des “Unterhaltenden Tisches” nahekäme. Falls es Ähnliches je gab, waren es Irre und betrunkenen Prominente, die für Sekunden einen Nachbartisch attrahieren konnten. Ich muss Ihnen, so sie nicht gegen Demütigungen geimpft sind, von Ihrem Vorhaben abraten. Erwähnen Sie in Ihren Grazer Darbietungen jedoch, wie erfolgreich Sie in Wien sind. Weltberühmt geradezu. Man wird diese Lüge lieben!

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