Charlie und der richtige Zeitpunkt

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU CHARLIE‘ in Falter 05/2015.

Liebe Frau Andrea,
nach den traurigen Ereignissen von Paris waren plötzlich sehr viele Menschen Charlie. Unter anderem befestigte man auch am Wiener Rathaus Transparente mit der Aufschrift „Je suis Charlie“. Abgesehen von der damit verbundenen Geste und Aussage: Mich würde interessieren, wann der richtige Zeitpunkt wäre, die Transparente wieder abzunehmen.
Je suis Gerhard Mayer, Wien 18,
per forgewardeter Email

Lieber Gerhard,

im Rahmen der weltweiten Bestürzung über die religiös-ideologischen Morde von Paris ordnete der Wiener Bürgermeister Michael Häupl an, die Fahnen am Wiener Rathaus ab Donnerstagmittag (8.1.2015) auf halbmast zu setzen. Nach dem Terroranschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo wolle Wien damit, hieß es in einer Aussendung, ein Zeichen der Solidarität und Anteilnahme setzen. Schon Mittwoch hatte sich Häupl tief betroffen gezeigt und gemeint, die Pressefreiheit müsse bewahrt und derartige Angriffe dürften nicht hingenommen werden. Die Fahnen am Rathaus sollten bis Freitag auf halbmast bleiben. Den Morden in der Charlie-Hebdo-Redaktion folgten weitere im Zuge der Geiselnahme im koscheren Pariser Supermarkt “Hyper Cacher” – vier jüdische Männer wurden ermordet. Zu diesem Zeitpunkt war bereits ein Mem durch die Sozialen Netze gerast: Ein schwarzes Logo mit simpler weisser Typographie “JE SUIS CHARLIE.” Im Zuge des 9. Jänner liess die Wiener Stadtregierung das Sujet auf dem Hauptturm des Wiener Rathauses aufziehen. Es solle dort genau eine Woche lang hängen, tickerte das Rathaus. Eine Recherche und Analyse des Archivs der Panorama-Livekamera am Wiener Burgtheater bestätigt die minutiöse Einhaltung dieses Zeitplans. In der Frage nach der richtigen Dauer kommunaler Trauerbekundungen gibt es keine gültigen Antworten. Die Konventionen hanteln sich, der Schwere des Anlassfalles entsprechend, an kalendarischen Quantitäten entlang. Stadiontrauer dauert meist eine Minute, Staatstrauer in der Regel einen, drei oder sieben Tage. Ausnahmen bestätigen die Regel. Francos Tod 1975 führte zu 20 Tagen spanischer Staatstrauer, jener der Schwester von Thailands König Bhumipol im Jahre 2008 zu hundert Tagen thailändischer.

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