Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 04/2015.
Liebe Frau Andrea,
der ganze Plagiatstrubel der letzten Jahre hat mich jetzt richtig verunsichert, daher folgenden Frage: Wenn man eine Fälschung fälscht, hat man dann wieder ein Original?
Akademische Grüße,
Dr. Josef Dollinger, Wien 7
Lieber Herr Kollege,
wenn wir uns am Strassenmarkt in Bangkok oder auf einem chinesischen Internetportal einen schnittigen Gucci-Beutel oder eine schwergoldene Rolex zulegen, sind wir uns in der Regel bewusst, gefälschte Ware zu kaufen. Die Umstände sprechen gegen jede Echtheit. Trotzdem erwerben wir reale Gegenstände. Anders verhält es sich mit Original und Falsifikat in akademischen Kreisen. Gehandelt wird hier weniger mit Modeutensilien und Zeitmessern als mit Ideen und Publikationen. Kann sich eine Urkunde mit Stempel und Unterschrift, Siegel und Wasserzeichen gegen den Vorwurf absichern, Kopie zu sein, gelingt dies schwerer mit Nichtmateriellem, mit dem Inhalt selbst. Ein Pass kann echt sein und auf falschen Namen ausgestellt sein. Oder falsch und auf den richtigen Namen. Eine Dissertation kann angenommen, also echt, der Doktortitel dennoch betrügerisch erschrieben worden sein. Bleiben wir bei unserem Beispiel des windigen Strassenmarkts. Die Publikation eines wissenschaftlichen Plagiats entspräche dem Kauf einer falschen Gucci-Tasche im Gucci-Laden selbst. Die meisten Plagiate beziehen ihre Unredlichkeit daraus, dass die Verfasser Fremdes für Eigenes ausgeben. Würde man sich der wissenschaftlichen Sisyphus-Tortur unterziehen, alle Partikel eines plagiierenden Textes ihrer ursprünglichen Quelle zuzuordnen, hätte man jenes Original, das Sie mit ihrer Frage insinuieren. Diese Arbeit wäre nun aber keine Fälschung der Fälschung. Mit anderen Worten: Original und Fälschung sind nicht Elemente einer einfachen logischen Verknüpfung. In jener Welt, in der das Fälschen einer Fälschung zum Original führte, hätten wir einen Ariadnefaden zur Hand, der uns stets einen Weg im Labyrinth der Möglichkeiten wiese. Tatsächlich aber begehen wir jenes vielwurzelig verflochtene System von Abkürzungen und Schleifen, das die französischen Denker Gilles Deleuze und Félix Guattari “Rhizom” nennen.