Andrea Maria Dusl für Standard vom 30.12.2014
Blutiger „IS“-Terror, internationaler Dauerkonflikt um die Ukraine und ein nicht immer optimal inszeniertes Gedenken an den Ersten Weltkrieg: 2014 ließ etliches zu wünschen übrig. Sechs Rückblicke. Texte: Andrea Maria Dusl, Marlene Streeruwitz, Philipp Blom, Cordula Simon, Doron Rabinovici und Tex Rubinowitz.
Das Jahr begann wie jedes andere auch. Man schwang das Silvesterbein, goss sich Jahresendplörre hinter die Binde und Blei in die Salatschüssel. Draußen krachte und knallte es, drinnen flogen die Vorsätze. Was man noch nicht wissen konnte: Das Jahr würde ein Durchwachsenes werden. Für alle. Ständig vermischte sich das Private mit dem Öffentlichen. Aus Eigenem wurde Fremdes, aus Fremdem Eigenes.
Gänzlich kalt ließ uns das winterwarme Sotschi. Die Eiseskälte Putins trug das heimelige Lächeln Karl Schranzens. Österreichs Olympiahelden fuhren auf falschem Schnee um richtiges Gold, nur der Herminator schwang ab und fand politische Worte für eine politische Sache. Man sollte ihn zum Außenminister machen. Ehrlich jetzt. Des tatsächlichen Außenministers größte Stunde war wohl das Treffen mit Amtskollegen und Fast-Burgenländer Kerry. Der Mann mit dem kantigen Kinn und dem dicken Terminkalender. Er schenkte dem jungen Kurz ein paar Minütchen auf dem Schwechater Flugfeld. Worum es ging? Um Fragen der Überwachung. Die Kürze des Gesprächs gab Auskunft über die Wichtigkeit, die Amerikas Außenminister dem österreichischen Außenministerchen zumisst.
Überwachung war das große Thema des Jahres. Überwachung auf Facebook, Überwachung auf Twitter. Überwachung der Gesamtmenschheit durch seinen Teiler USA, Überwachung Nichtrusslands durch Russland. Überwachung Russlands durch die Gegner seines Territorialerweiterungshungers.
Auch im Kleinen, im Österreichischen wurde überwacht. Etwa der Ex-Fußballvereinspräsident (er trägt Bart) durch die Feinde seiner Fußfesselfreiheit. Durch die Lappen der Überwachung gingen die Vorgänge an Bord und die Bahn von Flug MH370 der Malaysia Airlines von Kuala Lumpur nach Peking. Überwacht wurde schließlich der Indische Ozean. Welle für Welle wurde abgesucht. Alles wurde gefunden, von der Badeente bis zum Medusa-Floß, nur die verschwundene Maschine blieb verschwunden.
Einen Abgang wegen fehlender Überwachung der Finanzen machte Burgtheaterdirektor Bartmann, äh, Hartmann. Im Fallen riss er noch den Springer mit (er trägt Schnurrbart). Schachmatt hingegen war der König. Nach vier Jahrzehnten Großwildjagd übergab der hinkende Juan Carlos die Krone an seinen Sohn Felipe. Der trägt im Einklang mit dem Jahresmotto ganz selbstverständlich Bart und ist jetzt (mit 46 Lenzen) der jüngste König Europas. Auch was. An der Monarchen-Front tat sich neben Schwangerschaften und Geburten auch Unerfreuliches. Ein Bartträger mit unmerkbarem Namen rief sich selbst zum Kalifen aus und bestieg mit seiner Jihadtruppe (alle Bartträger) die Bühne der Grausamkeit.
Gegen den Bart sprach sich Europa aus. Im direkten Match um das Amt des EU-Kommissionspräsidenten gewann der Konservative Jean-Claude Juncker. Der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten, Bartmann Schulz, unterlag.
Ein gutes Jahr war das Bartjahr für die Rasenkünstler aus Deutschland. Glatt rasierten sie Brasilien und Argentinien und wurden dann Weltmeister in der bestüberwachten Nebensache der Welt. Weniger geschmiert lief das Jahr für Vizekanzler und Finanzminister Michael Spindelegger. Er warf das Handtuch und verließ die Bühne der Politik. Vaupe-Chef wurde Django Mitterlehner, Finanzminister ein Millionär aus Vorarlberg (er trägt Schnurrbart).
Einen langen Bart hingegen hat das Milliardendesaster Hypo. Mit lethargischer Wut überwacht das Land das Wachsen unermesslicher Fehlbeträge. Außerirdisch und gut überwacht wurde auch das Schicksal der Sonden. Rosetta, die Begleiterin des Schweifsterns 67P/Tschurjumow-Gerassimenko, entsandte den Lander Philae. Der putzige Kasten landete im Bart des Kometen, um sogleich wieder einzuschlafen.
Der zentrale Moment des Jahres war wohl der Phönixflug von Cönchen Wurst. Ewig werden wir uns daran erinnern, wo wir waren, als die Prinzessin von Bart Mitterndorf den Song Contest gewann. Ich saß an diesem 10. Mai mit zwei politischen Kapazundern auf einer Feldkircher Lesebühne. Für immer werden deshalb Josef Winkler, Robert Menasse, Bartdame Conchita Wurst und ich ein Sommerkleeblatt sein. What a rat pack!
Andrea Maria Dusl, Regisseurin, Autorin und Zeichnerin, lebt in Wien. http://derstandard.at/2000009826164/Das-Jahr-des-Bartes