Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 50/2014.
Liebe Frau Andrea,
allerwerteste Comandantina, wenn ich hungrig bin, esse ich, danach bin ich satt. Wenn ich durstig bin, trinke ich, danach bin ich… ja, was? In keiner europäischen Sprache scheint es ein Trink-Pendant zu “satt” zu geben. Dasselbe habe ich jetzt auch für die chinesische Sprache festgestellt. Ist es möglich, dass die ganze Menschheit auf ein Eigenschaftswort für “flüssiges satt” verzichtet?
Untertänigst und höchst verunsichert, Josef Dollinger,
Wien 7, per Email
Lieber Josef,
das Problem ist nur scheinbar eines der Sprache. Vielmehr führt ihre Frage in einen Raum, der von Körperbedürfnissen und und kulturellen Praxen aufgespannt wird. Schon Ihre These, nach der es eine Ereignisabfolge Hunger-Essen-Sättigkeitsgefühl gebe, müssen wir als diffus zurückweisen, essen doch viele von uns, ohne vorher hungrig gewesen zu sein. Auch für Gefühle des Sattseins lassen sich keine allgemein gültige Aussagen treffen. Was ist “satt”? Jede Antwort zwischen “unhungrig” und “voll” wird Gültigkeit beanspruchen. Das schmerzhafte Gefühl echten Hungers wird in unseren Gesellschaften wohl eher mit der ernährungsproduktiven Lustform des Appetits verwechselt. Echter Durst, hervorgerufen durch Dehydrierung kann sich schon eher einstellen. Und in der Regel durch das Trinken von geschmacksneutralem Wasser gestillt werden. Gestillt also! Nach dieser Spracherfahrung müsste das Pendent zu “satt” eigentlich “still” lauten, oder “gestillt”. 1993, als die Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesbaden die Bevölkerung aufgerufen hatte, sich an einem Sprachspiel zu unserem Thema zu beteiligen, wurde dieser Begriff nicht anerkannt. Auch Neologismen wie “trinksatt” und “gelabt” wurden von der Gesellschaft zurückgewiesen. 1999 kam es abermals zu einer Suche nach dem Gegenwort zu „durstig“. Der Duden-Verlag und der Tee-Hersteller Lipton hatten zu einem Ideenwettbewerb aufgerufen, der Seltsamkeiten wie „nimedu“ (für „nicht mehr durstig“) oder „dulo“ (für „durstlos“) hervorbrachte, aber auch Umdeutungen wie „gewässert“, „gelöscht“ oder „abgefüllt“. Gewinnerin des Kontests wurde die fragwürdige Neuvokabel “sitt”. Es blieb seither still um “sitt”. Dann schon eher “dulo”.
www.comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina