Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 40/2014
Liebe Frau Andrea,
immer wieder höre und lese ich vom „kleinsten gemeinsamen Nenner“, den Politiker oft untereinander suchen. Mich persönlich interessiert aber nur der „größte gemeinsame Nenner“, also das größtmöglich Gemeinsame, auf das man sich noch einigen kann. Der „kleinste gemeinsame Nenner“ wäre ohnehin unendlich klein. Haben Politiker und Journalisten den Mut verloren auf der Suche nach dem „größten“ Nenner – oder können sie einfach nicht mehr rechnen?
Mathematische Grüße!
Josef Dollinger, Wien 7 (Primzahl), per Email
Lieber Josef,
ein geläufiges Beispiel der Darstellung ökonomischer Verhältnisse und Vorgänge ist der Gebrauch von Metaphern aus der bäuerlichen Sprache. Felder werden bestellt, Ernte eingefahren, Richtige oder Falsche sitzen an den Futtertrögen, Ställe werden ausgemistet, Sümpfe und saure Wiesen trockengelegt, Ökonomie wird als Zyklengezuckel fetter und magerer Jahre dargestellt. Mit weniger Erfolg werden Sinnbilder aus der Mathematik in Stellung gebracht, um politische Prozesse und deren Ergebnisse darzustellen. Das von Ihnen angeführte Beispiel des „kleinste gemeinsamen Nenners“ bezeichnet für gewöhnlich eine politische Lösung (Nenner), bei der die Ansprüche aller Beteiligten berücksichtigt werden. Der Hinweis auf das Gemeinsame wird dabei als das Positive gesehen, jener auf das Kleinste gilt als Verweis auf die enttäuschende (aber gerade noch erzielbare) Qualität des Verhandlungsergebnisses. In mathematischer Hinsicht wird diese Metapher unzureichend verwendet, weil ja der Nenner, also jene Zahl, die unter dem Bruchstrich steht, wenig über das Ergebnis aussagt. Dazu müsste auch der Zähler, also die Zahl über dem Bruchstrich bekannt sein. Je grösser dieser im Verhältnis zum Nenner, desto grösser (sprich: besser) das Ergebnis. Als Metapher für die hohe Qualität einer erzielten Lösung empfähle sich der größte gemeinsamen Teiler. Jene natürliche Zahl, durch die sich zwei ganze Zahlen ohne Rest teilen lassen. Gleichwohl gehört es zur kollektiven Erfahrung der Gesellschaft, dass die Begabungen zu mathematisch konzisem Denken in der Bevölkerung ungleich verteilt sind. Politiker und ihre schreibenden Beobachter sind hier keine Ausnahme. www.comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina
………………………….
Hans Christian Luschützky
07.10.2014, 19:31, per Email:
Verehrungswürdige und über alle Maßen geschätzte Frau Dusl,
Zur Ihrer Beantwortung der Anfrage des Herrn Dollinger erlaube ich mir anzumerken, dass, zum Unterschied vom vielfach missbrauchten „Quantensprung“, der tatsächlich die Verhältnisse umkehrt, die Floskel vom „kleinsten gemeinsamen Nenner“ einer gewissen Sinnhaftigkeit nicht entbehrt, wenn man sie als isolierte Größenbestimmung der Einheit „Nenner“ erkennt, ohne Berücksichtigung des numerischen Wertes der Bruchzahl, in der sie enthalten ist. Klarer ausgedrückt anhand eines Beispiels: der Nenner „drei“ in einem „Drittel“ ist eine kleinere Zahl als der Nenner „zwölf“ in einem „Zwölftel“: je kleiner die Zahl, die den Nenner bildet, desto größer der numerische Wert der Bruchzahl, in der er enthalten ist. Die Metapher vom „kleinsten gemeinsamen Nenner“ in der Sprache der Politik, des Managements usw. ist somit sinnvoll und gültig, da ein kleiner Nenner einen größeren Anteil am erzielten Gesamtergebnis bedeutet.
Mit den allerbesten Grüßen
Mag. Dr. Hans Christian Luschützky
Institut für Sprachwissenschaft
Universität Wien
Sensengasse 3a
1090 Wien
………………………….
Andrea Maria Dusl,
7.10.2014, per Email:
Sehr geehrter Herr Dr. Luschützky,
vielen Dank für Ihren wertvollen und klugen Debattenbeitrag.
Ich kann Ihren Ausführungen zustimmen, was die isolierte Bewertung des
Term-Partikels „Nenner“ in Hinblick auf eine günstige Qualität
einer Division betrifft.
Indem dabei aber keine Aussage über die numerische Größe des „Zählers“ getroffen wird, bleibt unklar, ob das Ergebnis der Teilung als „gutes“ bewertet werden darf.
Zudem gehen wir stets von ganzen und positiven Zahlen aus. Die Frage der Null als Nenner bleibt aus Axiomgründen ausgeklammert.
Auch gibt es keine Einigung in der Frage, ob ein großes Ergebnis ein besseres ist als ein kleines. Das hängt wohl vom Anlassfall ab.
Ich stimme Ihnen jedoch in einem, zu. Die Metapher ist für den Einsatz in Politik und Management bestens geeignet. Verschleiert es doch (indem es den Zähler ungenannt belässt) die tatsächlichen mathematischen Verhältnisse.
Mit besten Grüßen,
Mag. Dr. Andrea Maria Dusl
………………………….
16. Oktober 2014.
Peter Jürß, per Email:
Zur Aussage „man hat sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt“.
1) Wenn man von einem positiven ganzzahligen Wert spricht, dann ist der „kleinste gemeinsame Nenner“ immer nur 1 (Eins). Das ist fix, darauf braucht man sich nicht zu einigen. Und dieser Nenner steht für etwas Ganzes, das ist jedoch kaum gemeint.
2) Der Leserbriefschreiber meint anscheinend, dass ein kleinerer Nenner mehr wert sei, als ein größerer. Beispielsweise hat 1/3 (ein Drittel) eine größeren Wert als 1/4 (ein Viertel). Aber es gibt eine Abhängigkeit vom Zähler: 3/4 (drei Viertel) sind mehr als 1/3 (ein Drittel) – trotz eines kleineren Nenners. 0/1 (null von Eins) oder 0/3 (null Drittel) sind ebenso nichts wie 0/4 (null Viertel). Ohne einem Zähler ist ein Nenner – nichts, überhaupt nichts.
In der Mathematik wird nicht grundlos vom „größten gemeinsamen Teiler/Nenner“ und vom „kleinsten gemeinsamen Vielfachen“ gesprochen. Was Politiker aus einer PISA-Wissenslücke heraus als kleinsten gemeinsamen Nenner bezeichnen, ist zumeist der größtmögliche Kompromiss. Sie sollten diesen auch so bezeichnen. Akzeptabel wären Aussagen wie beispielsweise, man hat sich auf einen Nenner geeinigt oder man hat einen gemeinsamen Nenner gefunden. Dann frage ich – und was ist mit dem Zähler? Die Rede vom „kleinsten“ gemeinsamen Nenner ist weder sinnvoll noch gültig sondern einfach ein Blödsinn.
PS: Compliments to the members of intelligence services reading this email.
Pfüat gott // Adieu
Freundlich grüßt // Best regards
Peter Jürß // Peter Juerss
Informationstechnologe (i.R.) // IT Consultant (retired)
………………………….