Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 20.9.2014.
Früher war alles anders. Früher war alles gesünder. Äpfel schmeckten noch nach Apfel, sie waren scheckig, gelb, grün und rot. Wenn man sie rieb, begannen sie zu glänzen. Zwetschgen waren groß wie Eier, prall wie Katerhoden. Wenn man sie gegen die Sonne hielt, leuchteten sie wie der Karfreitag. Kirschen konnten rot sein wie Glut oder schwarz wie die Nacht. Der Zwiebel war feist und fest, er brannte zu Tränen, wenn man ihn schnitt, Salat knirschte nach Erde, erst recht der Spinat und die Farbe von Erdäpfeln konnte man erst nach langem Waschen in kaltem Wasser in Augenschein nehmen. Wenn die Hände schon taub waren vor Kälte. Im Herbst roch die Stadt nach pelzigem Eisen, Hausbrand nannte man die dicke Luft, sie kratzte im Hals und trübte die Augen. Aus den Lastwägen qualmte Russ, die Strassenbahn roch nach Schweröl und Schuhpasta, die Bahnhöfe nach Rost und Urin, die Postämter nach kaltem Rauch und Gummi Arabicum. Wer krank war an den Gerüchen, hielt sich die Hand vor, hüstelte und nestelte ein Eukalyptusbonbon aus dem Silberpapier. Auch der Gebrauch von 4711 war noch in Mode. Ein paar Tropfen Kölnischwasser reinigten die Luft für ein paar wervolle Momente, liessen von Capri träumen und von Amalfi, zumindest aber von Köln. Gesund war, wer nicht hustete, kein Fieber hatte, keine Bauchschmerzen und keine Schwellung an sichtbaren Körperstellen. Gesund war, wer nicht krank war. Gesund war, was nicht stank oder faulte. Olmützer Quargel brach diese Regel. Wer Zucker hatte, also Diabetiker war, kaufte Schokolade und Kekse im Reformhaus. Abführtee gab es in der Apotheke. Und allerlei Pulverl. Salben für dies, Salben gegen das, immer gab es was zu Rühren beim Herrn Magister. Fand man sich mit der Mutter in der Apotheke ein, um Sanostol zu tanken, einen harzigsüssen Trank, oder Lebertran, die trinkbare Hölle auf Erden, musste man konstatieren: Richtig gesund war eigentlich nichts. Bis auf eines. Gesundheitsschuhe. Ihre Farbe entsprach in etwa dem Ton, den eine Tasse Milchkaffee annimmt, wenn sie, übers Wochenende stehen gelassen wird: Einen fahlen Stich ins Grüngraue.