Quälgeister

Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 2.8.2014.

Aus der Welt des Masochismus ist vieles bekannt. Rituale und Kostümierungen, Rollen und Werkzeuge. Sie sind längst und erfolgreich Gegenstand literarischer und filmischer Betrachtungen. Jenseits aller Bewertungen durch Teilnehmer am wissenschaftlichen wie am moralischen Diskurs haben sie Eingang in jenes Paradies gefunden, das wir gemeinhin als den Markt bezeichnen. Es gibt nichts, was nicht zu kaufen wäre auf dem Felde der kontrollierten Einschmerzung. Pessimistische Beobachter unserer gegenwärtigen (westlichen) Gesellschaftsordnung führen ins Treffen, dass der Markt selbst eine masochistische Grossunternehmung sei. Eine Konstante masochistischer Betätigung ist die ästhetisch überformte Lust an Schmerz und Unterwerfung, sei es als Kunst, Phantasie oder Geschäft. In diesem Zusammenhang darf nicht unerwähnt bleiben, dass der unfreiwillige Namensgeber der Disziplin, der Jurist und Historiker Leopold Ritter von Sacher-Masoch ein Österreicher war, wir uns also im Mutterland der Lustqual befinden. Nirgendwo sonst, mit der vermuteten Ausnahme einiger Täler in Transsylvanien, wird gesellschaftliches Aufeinandertreffen mit der Verabreichung solch gefährlicher Mengen an Fusel vergütet, wie in Österreich. Jeder Anlass ist willkommen, den Stoppel aus einer übelriechenden, unetikettierten Flasche zu ziehen. Es gibt das Willkommensschnapserl für Ankommende und Heimkehrenden, das Griassdistamperl für Postler und Rauchfangkehrer, den Muntermacher für Arbeiter und Handwerker, das Pfiatistesserl für Abreisende und das Fluchtachterl für Nachhausewankende. Nicht dass sonst zuwenig getrunken würde. Kaum Eingang in die lustquälerische Ritualistik hat indes das Insekt gefunden. Es mag Fälle von Ameisensäure-Riech-Abusus geben und obsessive Spiele mit Honig, ja Ekelgrenzgänge mit Spinnengetier und Würmern, die Gelse ist jedenfalls kein Objekt masochistischer Phantasie. Gelsen sind sogar dem Qualfreunden zu unangenehm. Jüngst hat sich dem Blutsauger eine ebenbürtige Niedrigkeit hinzugesellt. Der allzeit störende und unvermeidliche Klugfernsprecher. Niemand mag seinen Störschmerz, nicht mal die Masochisten: Das Handy.

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