Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 12.7.2014.
Sommer ist Sonne und Sommer ist Bad. Sonne und Bad aber sind Figur. Figur ist alles in einem richtigen Sommer. Umgekehrt ist alles Figur in einem Sommer voll Richtigkeit. Hier fangen die Probleme an. Die einen haben sie, die anderen sehen sie. Der Figur kann sich niemand entziehen. Im Idealfall wird sie als jugendverboten kurvenreich beschrieben und von knappen Bikinidreiecken mehr ent- denn verhüllt. Für den Begleiter sieht der Modehegemon den Cornettokörper vor. Als maskulines Badekleid von Rang gilt monentan noch die flattrige Schwimmbermudas unter Waschbrettbauch oder Sechserpack. Wir kennen diese Figurentypologie eines idealen Badegastpäärchens vor allem aus der Werbung. Im Freibadalltag kommt er nicht vor. Niemand hat also Figur, alle machen welche. Als Konsequenz dieser Zusammenhänge hat sich eine Volkssportart etabliert, die so variantenreich ist wie beliebt – das Beckenrandspringen. Im Beckenrandspringen offenbaren sich Tugenden wie Untugenden des Österreichertums. Eine traditionelle Förderungsmassnahme besteht darin, das Beckenrandspringen zu verbieten. Was verboten ist in Österreich, so haben wir es gelernt, wird umso lieber getan. Schon die Kleinkinder werden Von Vätern und Brüdern in kunstvollen Schwüngen ins Sommernass geworfen, kaum krabbeln sie heraus, werfen sie sich selbst von allen Ufern. Zahllos sind die Namen, die den Sprungfiguren gegeben werden. Die meisten heissen “Achtung!”, “Jetzt ich!” oder lautmalerisch “Booooombe” und werden in unmittelbarer Nähe älterer Schwimmender ausgeübt. Wo die ballistischen Benennungen versagen, wird geschrien und geprustet. Was in den weiten Ebenen der Badegeländes als adipöse Körpermehrleistung verstanden wird, gilt an der Absprungkante als Tugend. Je dicker die Figur, desto grösser die Wasserexplosion und der Eintauchknall. Man sollte das Phänomen nicht verurteilen. Zwischen Absprung und Impakt, jener Zeit und jenem Raum also, den wir “die Figur” nennen wollen, wird Freiheit produziert. Ein Phantasma, nach dem Bedarf besteht in diesem Land.