Aus Kopf, Kern und Herz gewunden

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 28/2014
Liebe Frau Andrea,
trotz intensiven Grübelns komme ich auf keine sinnvolle Erklärung für das Wort „auswendig“. Im Englischen und Französischen lernt man etwas „vom Herzen“, im Niederländischen „aus dem Kopf“, im Portugiesischen „aus dem Kern“, alle diese Ausdrücke verweisen nach Innen, nur im Deutschen nach Außen? Oder hat das gar nix mit ‚Außen‘ zu tun? Wie ist das mit Sprachen aus einem anderen Kulturraum, Asien zum Beispiel? Ich bitte höflichst, mich von der Grüblerei zu erlösen!
Herzliche Grüße aus dem 7. Bezirk (‚inwendig‘ des Gürtels),
Inge, per Email.
Liebe Inge,
bis zur Erfindung der Schrift war das Auswendiglernen, also die minutiöse orale Tradition die einzige Methode, Inhalte wortgetreu zu überliefern. Schon damals beklagten die Vertreter der älteren Technik das Aufkommen der neueren, es wurde (zu Unrecht) befürchtet, das Aufschreiben korrumpiere die Fertigkeit des Erinnerns. Im Judentum wurden konsquenterweise beide Traditionen gleichermassen am Leben gehalten, das Memorieren und das letterngenaue schriftliche Kopieren. Von den Kelten, heißt es, sei deswegen so wenig Schriftliches erhalten, weil ihre Gelehrten, die Druiden Wissen ausschliesslich mündlich reproduzierten. Unser heute geläufige Ausdruck “etwas auswendig zu lernen” ist erst relativ spät, im 16. Jahrhundert mit der momentanen Bedeutung aufgeladen worden. Ursprünglich bedeutete die Phrase “auswendig” etwas, zum Beispiel ein Kleidungsstück, nach aussen zu wenden. Konsequenterweise müsste man also vom “auswendig lehren” sprechen und vom “inwendig lernen”. Nach meiner bescheidenen Annahme sollte auch in Erwägung gezogen werden, die Phrase nicht von Auswenden, sondern vom Auswinden abzuleiten, dies würde die mit Wissensreproduktion verbundenen Anstrengungen einigermassen gerecht abbilden. Soweit die Ungenauigkeiten aus unserem Sprachkreis. Im Schwedischen lernt man “utantill” (ohnezu), Spanier können etwas “de memoria” (aus der Erinnerung), Georgier lernen “mündlich”, im Chinesischen und in Hindi spricht man, ähnlich wie im anglofranzösischen von der “Assoziation des Herzens” beziehungsweise vom “Herzlernen”. Hoffe mich hiermit hinreichend schriftlich ausgewunden zu haben!
www.comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

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