Sommerloch

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Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 21. Juni 2014.
Kurt Tucholsky hat einst eine Definition in der Sache geliefert, demnach ein Loch da sei, wo etwas nicht sei. Schlimmer noch: Das Loch ist etwas, das gar nicht existiert, denn etwas, das nicht ist, kann nicht sein. Unser Wahrnehmungsapparat und die mit seiner Signalproduktion befassten Instanzen unseres Gehirns sehen das bekanntermassen gemütlicher. Ein Loch kann man definitiv sehen, sagt uns die graue Masse zwischen unseren Schläfen. Die Beatles, Piloten der Aufbruchsgeneration, sahen das ähnlich, obgleich sie das Loch poetisch-musikalisch aus der Welt schaffen wollten. “I’m fixing a hole”, sang Paul McCartney, er repariere ein Loch. Beatles-Hermeneutiker haben dies als unverhohlenen Hinweis auf Heroinkonsum gedeutet, die Pilzköpfe selbst berichteten von ihren undichten Dächern und von Löcher in der Strasse. Wie auch immer, das Loch beschäftigt die Seele und fordert den ganzen Menschen. In grossem Umfang tritt es jeden Sommer auf, wenn die Parlamente verwaist sind, die Schulen geschlossen und sich Arbeitnehmer fabrikweise an den Strand legen. Wenn es nichts zu berichten gibt, weil nichts passiert, tritt das Sommerloch auf den Plan und generiert publizistische Nullmeldungen. Beliebte Topoi der Berichterstattung in der Saure-Gurken-Zeit sind die Saure Gurke selbst, Reflexionen über das Sommerloch, und in großem Umfang das Sommerlochtier. Wer erinnert sich nicht gerne an die freiheitsliebende Kuh Yvonne, die eines Sommers aus bäuerlicher Obhut entwich, um sich drei Monate versteckt zu halten. Tragischer, aber nicht weniger spannend blieb uns die Walz von Problembär Bruno in Erinnerung. Eines schönen Mais war er von Italien bis nach Bayern getrottet. Hier war er ganz Bär, verging sich an Bienenstöcken, riß Schafe und Ziegen und naschte in Hühnerpferchen und Kaninchenställen. Unter medialer Großbegleitung wurde er dingfest gemacht. Ausgestopft erinnert er an das Sommerloch 2006. Konkurrenz erwuchs Problembär Bruno in der verliebten Schwänin Petra, die einen ganzen Sommerlochsommer hindurch unglücklich ein weißes Tretboot in Schwanenform anhimmelte. Die Welt schluchzte mit. Wir sehen, auch wenn es nicht da ist: Das Loch bewegt.

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