Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 7. Juni 2014.
Der Sommer hatte, wenn er denn kam, und damals kam er immer, ein paar Geschenke im Gepäck. Die Länge der Tage. Das Nebeneinander unterschiedlicher Temperaturen. Die Explosion der Gerüche. Damals, als ich ein Kind war. Das war in einer Zeit, als man sich diese heute hier noch nicht vorstellen konnte, als 1984 nur ein Buch war und das Jahr 2000 ein Slogan ohne irgendein dahinter. Das Dahinter war nicht vorstellbar. Man wusste nur: Menschen werden auf dem Mars leben, jeder wird ein Flugzeug haben und zuhause einen kleinen Atomreaktor. Bis dahin aber war Sommer, und das war der saftige Duft der Nachbarwiesen, der eisernharzige des Dorfbahnsteigs, der öligsüsse des Asphalts auf der Bundesstrasse und der ledrigdumpfe auf der harten Rückbank in Mamas Puch 500.
Das Eis hatte keinen Geruch. Das Eis war ein Bote aus ferner Galaxie. Es war bunt, wie Winterschnee nie sein durfte. Die Ausserirdischen hatten es hergestellt und heimlich wie die Zwerge in Schneewittchensärgen verstaut, irgendwann in der kurzen Nacht, wenn die Sterne funkelten und der Mond über den Himmel schaukelte. Eis war Traumware. Das wussten die. Die Ausserirdischen. Zwerge, aber Kapitalisten. Sie wussten, wie sie Kinderseelen verführten. Wie sie ihre Barbieseelen und Legoherzen gewannen, wie sie zu Hunger und Durst noch eine dritte Sehnsucht gesellten: Die Lust aufs Eis. Sie wussten den Schmerz der Kälte mit der Zuckergier zu vermählen, die Sauerfreude mit den Fruchtjubel. Welten taten sich im Schmelzen auf, fleissig schnell floss Sahniges auf, langsam nur liess sich Wässriges lösen. Bald war man Expertin und konnte die Zunge ans Eis kleben, und warten, wie warmes Blut in den Muskel quoll, um ihn vor dem Frost zu retten. Die halbtote Zunge dankte es ihrer Besitzerin mit taubem Prickeln. Sommer war und alles wurde in Eis gemessen. Das Vermögen in Eisbomben, der Kredit im elterlichen Bankhaus in Twinnis pro Stunde, die Hungerkraft in Haselnussbechern, die Geschwindigkeit in Cornettos und der persönlichen Artistik, schleckend zum Ziel zu kommen, bevor es zerschmolzen war. Das Ziel? Die Waffelspitze – ein zweites Eis im ersten, zwei Kinderdaumen hoch, Schokolade pur. Ja. Sommer war Eis und Eis der Himmel.