Für meine iluustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 24. Mai 2014.
Was hat dieser Kontinent nicht alles an Schauder erlebt! Imperien und Invasionen, Raubzüge und Revolutionen, Pest und Pogrome. Wie Irrlichter in düsterer Nacht funkeln die kurzen Perioden von Frieden und Fortschritt aus dem Gedächtnis der Geschichte. Die meiste Zeit lagen die Länder und Ländereien Europas miteinander im Krieg. Es ist diese bittere Erinnerung an Tod und Verwüstung, die die Gründergeneration des vereinigten Europas über Sprachbarrieren und Staatsgrenzen hinweg verbunden hat. Mag sein, dass sich die wirtschaftliche Motivlagen besser verkaufen liessen, die Phantasie eines friedlichen Europas jedenfalls steckte den Unionseltern in den Knochen. Für viele von ihnen war der Zweite Weltkrieg das dritte miterlebte Nationen-Gemetzel. Sätze dieser Qualität zirkulieren in Reden und Broschüren, tausendfach haben wir sie so und ähnlich schon gehört. Müde lächelnd haben wir dazu genickt oder schlicht die Augen verdreht. Mit dem Pathos kann man es übertreiben. Europa ist nämlich auch Orbán und Wassertomate, Lampedusa und Glühbirnenverbot, Massenarbeitslosigkeit und Bankenkrise. Wie schön war doch der Schilling! Schrödinger auf dem Blauen, die Semmeringbahn auf dem Hunderter! Wie vermissen wir das goldene Licht der Hunderterbirne! Wie gerne schimpften wir auf den Wasserkopf Wien und noch nicht auf die Hydra Brüssel, bezichtigten die Beamten in den hiesigen Ministerien der Untätigkeit, und nicht die Eurokraten der Tätigkeit. Oh du Vergangenheit! Wie romantisch war das Reisetaschenauspacken beim Zoll in Tarvis, wie super der Devisentango vor dem Griechenlandurlaub. Wie herrlich kompliziert war eine Bahnreise nach Paris! Wie gut haben wir die tschechoslowakischen Zöllner verstanden, als sie unsere Wäsche nach Illustrierten durchsuchten, und unsere Schuhe nach Kronen! Nichts war einfach, noch mehr kompliziert. In Caracas war man schneller als in Krakau, aus Kairo konnte man leichter einen Pharao mitbringen, als Valpolicella aus dem Supermarkt in Caorle. Dieses alte Europa hatte was. Es hatte was totes. Es wundert kaum, dass es die Ewiggestrigen es sind, die es herbeisehnen.