Schuld und Entschuldigung

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 17/2014
Liebe Frau Andrea,
vor kurzem las ich die Überschrift “Papst entschuldigt sich bei Missbrauchsopfern“. In der Zeitungsmeldung selbst wird Franziskus zitiert: “Ich fühle mich aufgerufen, (…) um Verzeihung zu bitten“. Manchmal kommt es also vor, dass ein Mensch einem anderen was antut, das ihm als Schuld dünkt, derer es sich entledigen will. Der eine wählt dann die Formulierung “Ich bitte (dich) um Entschuldigung“, der andere erklärt “Ich entschuldige mich.“ Soll ich glauben, dass die beiden das gleiche meinen? Fragt sich und Sie
Walter Stach, Mariahilf,
per NSA-Archivalie
Lieber Walter,
in unserem alltäglichen Sprachgebrauch werden Fragen von Schuld und Entschuldigung nicht hinreichend geklärt. Konversation ist keine Gerichtsverhandlung, Tischgespräch und Kollegentalk kein philosophisches Seminar. Das Dilemma der Richtung von Schuld und Entschuldigung ist in der Floskel “Tschulligung” zusammengefasst. Wird hier um Entschuldigung gebeten, also um Befreiung auferlegter oder zugefallener Schuld? Oder wird hier Selbstentschuldigung angeboten? Die Zielrichtung dieser grundverschiedenen Vorgänge, ja das schiere Vorliegen eines Unterschieds ist den Sprechenden meist nicht bewusst. Und was ist überhaupt Schuld? Etymologisch gesehen kommt der Begriff vom althochdeutschen “syllen“, sollen. Die Schuld ist das Sollen. Die Instanz, die bestimmte, was getan werden sollte, hiess im Mittelalter Schultheiss, kurz Schulze. Inhaltlich ist Schuld, das “zu Sollende“ mit dem dem römisch-rechtlichen Begriff “obligatio“, der Verpflichtung, wörtlich: dem Auferlegten verknüpft. Was heute Schuld genannt wird, hiess ursprünglich Sünde. Auch in nichtreligiösem Zusammenhang. „Sünde“, im althochdeutschen noch „sunta“ ausgesprochen, ist abgeleitet von einem germanischen Rechtswort für “Schuld an einer Tat”. Es ist ein Abstraktum zu sund (wahr, seiend), einem alten Partizip zu Sein. Die Schuld ist also eigentlich “das, was ist”. Und sie ist per se nicht schlecht. Kommt doch aus den indoeuropäischen Wurzeln “sunto“, “suento“ ein ganz anderes, überaus positiv besetztes Wort: Gesund. Das “Seiende”, das “sunde”, das “Gesunde” war gewissermassen auch das Getane, die Tat. Zurück zur Entschuldigung. Geben oder nehmen? Geben, wenn Sie erlauben. Ist seliger.
www.comandantina.com dusl@falter.at

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