Hirten, Wiener Gauner und die Kleiderfrage

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 16/2014
Liebe Frau Andrea,
ich bin im Burgenländischen daheim – und Sie bewandert bis ins Indogermanische. Bei uns gibt es den Begriff “haitn“, sich “ohaitn“ (das “o“ lang gesprochen), a “Haita“ sein – im Sinne von sehr umtriebig und rege sein, aber auch sich plagen, sich verausgaben, einer sein, der sich um alles kümmert und alles erledigt, der nicht stillhalten kann. Ein zweites Wort ist “Tschunschal“ (kurzes “u“, kurzes “a“). Es bedeutet ganz schlecht gekleidet zu sein und unwürdig aufzutreten. Wo kommen diese wunderschönen Dialektausdrücke bloß her? Vielen Dank für Ihre Recherche!
Liebe Grüße,
Günter Karner, per NSA-Archivalie
Lieber Günter,
das Burgenland – burgenlandkroatisch Gradišće, ungarisch Felsőőrvidék, Őrvidék oder Lajtabánság – entstand 1921 aus Teilen der drei altungarischen, aber deutschsprachigen Komitate Moson (Wieselburg), Sopron (Ödenburg) und Vas (Eisenburg). Seinen Namen bekam das ehemalige “Deutsch-Westungarn” bekanntlicherweise von den drei Endungen auf “-burg” in den Bezeichnungen der erwähnten Komitate. Österreichs jüngstes Bundesland liegt an einer Sprachgrenze, die das Deutsche vom Ungarischen, und damit das Indoeuropäische vom Nichtindoeuropäischen trennt. Das kompliziert das Stochern in sprachgeschichtlichen Zusammenhängen. Der von Ihnen thematisierte Begriff “Haita” scheint der “Holda”, “Holta” zu sein, der Hirte. Auf der “Holt”, dem Weideplatz “holtet” er das Vieh, lässt es also weiden. Eine anstrengende und verantwortungsvolle Tätigkeit, die sich als Bezeichnung für einen verlässlichen Menschen bis in die Wiener Gaunersprache durchgeschlagen hat, wo der “Hoida” der Kumpel, der Freund, der Kollege ist, der dichthält, auf den man “halten kann”. Vor allem gegenüber der “He”, der “Höh”, der Obrigkeit. In großer Entfernung dazu hält sich das Wort “Tschunschal“ auf. Es kommt mit großer Wahrscheinlichkeit vom ungarischen “csúnya” (etwa “dschunnja”, “tschunnjå” ausgesprochen) und bedeutet “garstig”, “hässlich”, “schäbig”, “unansehnlich”, “unschön”, “aus der Form geraten zu sein”. “Csúnyaság” (ausgesprochen “dschunnjaschag”) ist die Häßlichkeit, die Unansehnlichkeit und Ungestalt. Ein Hoida der nicht hält, wäre nach diesem Sprachgebrauch – zumindest menschlich betrachtet – ziemlich tschunschal.
www.comandantina.com dusl@falter.at

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