Die Leiden des jungen Erdem. War Goethe Türke?

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 15/2014
Liebe Frau Andrea,
ein verschwörungstheoretisch unbeeindruckbarer Freund hat mir letztens erzählt, dass Johann Wolfgang von Goethe türkischer Abstammung gwesen sei. Das kann ja wohl nicht mit (R)echten Dingen zugehen. Ist was dran an der seltsamen Sage?
 
Güneş Karabulut, per NSA-Archivalie
Lieber Güneş,
ein Seitenstrang der Goetheforschung beschäftigt sich (wissenschaftlich durchaus lauter) mit der genealogischen Abstammung des deutschen Dichterfürsten. Mögen auch die Motive für diese Forschung weitgehend im Dunkel bleiben, liegen doch Ergebnisse vor, die spekulativ genützt werden können. Nach Ansicht der Erforscher des Stammbaums vom Herrn Geheimrat hatte dieser zumindest einen türkischen Vorfahren. Über seine Urgroßmutter mütterlicherseits, Elisabeth Katharina Seip (1680-1759), stammt Jowo Goethe von einem gewissen Heinrich Soldan ab, Mitte des 15. Jahrhunderts Bürgermeister des hessischen Städtchens Frankenberg. Die (noch heute blühende) Familie Soldan sieht als ihren Stammvater Johann Soldan an, Oberst in Diensten des Grafen von Württemberg. Das türkische daran? Johann Soldan (1270-1328) gilt als der erste urkundlich nachweisbare Türke in Deuschland. Mehmet Sadık Selim Sultan (auch: Sadok Seli Soltan) war türkischer Offizier. Er geriet während eines Kreuzzuges in Gefangenschaft des besagten Grafen und wurde aufgrund seiner Tapferkeit von seinem neuen Dienstherrn zum Oberst ernannt und nach Deutschland verschleppt. 1304 heiratete Soltan Rebecka Dohlerin, erst ein Jahr später wurde er in der Johanniskirche in Brackenheim christlich getauft, bei welcher Gelegenheit er den Namen Johann Soldan annahm. Trotz der ausgedünnten genetischen Komponente in Goethes Türkentum wird der Dichter, Freimaurer und Weltenwanderer von Partitionen der türkischendeutschen Community als Protagonist frühen Deutschtürkentums vorgeschlagen. Nahrung erfährt das Projekt einer friedfertige Konjunktion von Islam und Deutschem Wald durch Goethes 1819 publizierte Gedichtsammlung “West-östlicher Divan”. Das Werk gilt als Hommage und poetisches Zwiegespräch mit dem persischen Dichter Ḫāǧe Šams ad-Dīn Moḥammad Ḥāfeẓ-e Šīrāzī, kurz Hafis genannt. Über Länder, Religionen und Jahrhunderte hinweg kommunzieren hier westliche und orientalische Denkkunst. Alhamdulillah! Size iyi günler dileri!
www.comandantina.com dusl@falter.at

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert