Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 06/2014
Liebe Frau Andrea,
das Ableben von Maximilian Schell, so der ORF, habe viele Kollegen tief getroffen. “Ableben“ gibt’s also noch für Prominente, so wie auch “Hinscheiden“ – Altbischof Krenn entschlief friedlich. Gibt es sprachlich/medizinisch gesehen Unterschiede beim Übergang vom Leben in den Tod? Honorige Persönlichkeiten entschlafen oder versterben, Angehörige der misera plebs hingegen sterben einfach. Kommt Ihnen das auch so vor?
Fragt & grüßt herzlich
Walter Stach, per NSA-Archivalie
Lieber Walter,
das Sterben ist (wie sonst nur Sexualität, Gewalt und Stoffwechsel) in unserer Gesellschaft sprachlich stark tabuisiert. Vorgang, Begleitumstände und das Endprodukt des Sterbevorgangs, die Leiche werden mit einem reichen Vokabular verhüllt. Dabei müsste die deutsche Sprache nicht unbedingt grosse Volten schlagen, handelt es sich doch bei ‘sterben’ selbst um ein Hüllwort – es ist dem Starren verwandt, und meint sinngemäß das Erstarren des Körpers (und vermutlich auch des Blicks). Gesellschaftliche Verhältnisse und mit ihnen Machtkonstellationen drücken sich in Sprache aus. Es darf uns daher nicht wundern, daß der Tod von Prominenten und Potentaten sprachlich anders ausgedrückt wird, als jener privaterer Personen. Am Beispiel des Wienerischen zeigt sich, daß auch Volkes Sprache hoch aufgefaltetete Hüllkurven an das Sterben legt: A Bankl wiad g’rissn, die Podschn wean g’streckt, da Leffl wiad o’gebm. Die Hochsprache und ihr Zerrspiegel, die journalistische Prosa spricht beim Exitus Höhergestellter von Entschlafen, Hinscheiden, Heimgehen, Ableben und dem Segnen des Zeitlichen. Freimaurer gehen in den Ewigen Osten, Karl Mays Indianer in die Ewigen Jagdgründe, Gläubige werden je nach Sündenkonto von höherer Stelle abberufen oder vor ihren Richter geführt. Der Tod im Krieg wurde mit eigenen Formeln bedacht. Das Sterben für Gott, Kaiser, Führer und Vaterland wurde mit dem Fallen am Feld der Ehre bezeichnet, weniger blumig ausgedrückt, kehrten Söhne und Väter ganz einfach nicht zurück, blieben im Feld. Ermordete werden zu Opfern von Gewalt, Verunglückte zollen dem Berg, der See, der Straße oder anderen Naturgewalten Tribut. Im Sterben werden Machtverhältnisse durch Sprache dargestellt. Die Vielfalt der Formen sollte uns daher nicht wundern. www.comandantina.com dusl@falter.at