Kurze Geschichte von Weihnachten

Andrea Maria Dusl für Der Standard vom 21.12.2013.

Die anderen fünf Geschichten schrieben Vea Kaiser, Tex Rubinowitz, Doron Rabinovici, Peter Rosei und Barbara Firschmuth.

Wir waren Kinder und wir glaubten alles. Wir glaubten, dass man mit Raketen zum Mond fliegen konnte, wir glaubten an Dinosaurier und an Beuteltiere und daran, dass Musik aus einem kleinen Kästchen kommen konnte namens Transistorradio. Die Welt war voller Zauber und die Welt war ausschliesslich dazu da, uns zu überraschen. Weihnachten war so eine Überraschung. Die Welt (also unsere Eltern) hatte sich das Fest ausgedacht, einzig für uns. Das Lichterfest. Raffiniert. Ausgeklügelt. Um das Ganze spannend anzulegen, wurde es langsam dunkler in der Stadt. Aus früheren Epochen wussten wir, Kerzen lodern schöner, wenn es düster ist! Dass es nach Weihnachten langsam wieder heller wird, war ebenso Teil des ausgeheckten Kalküls. Unser Vater war Diplomingenieur, war ein Planer. Wer so grosse Sachen zusammenbauen konnte wie Häuser und Schulen und Pensionistenheime, war verdächtig, auch hinter dem Kürzerwerden der Tage zu stecken! In den späten Tagen der Adventkranzzeit, zwischen dritter und vierter Kerze, ein paar Fensterchen im Schokoladekalender waren noch zugeklappt, wurde der Vater hektisch. Er organisierte jetzt den Baum. Teil des Unternehmens war strikte Heimlichkeit. “Die Kinder sollen ihn nicht sehen”, lautete der wichtigste Elternsatz in diesem Arkanvorhaben, und meist gelang das dem Vater auch ganz gut. Ganz gut, wenn auch nicht sehr gut, denn Tannennadeln fanden wir auf der Treppe und das kühle Gartenräumchen hinter seinem Büro war verschlossen. Solche Indizien deuteten darauf hin: Der Baum war schon im Haus. Ausserdem konnte man ihn riechen. Riechen konnte man auch die Pepparkakor der Mamma, riechen konnte man die Vanillekipferl der Mussima, so nannten wir die Grossmutter. Beide waren in die Pläne unseres Vaters eingebunden. Das Keksbacken war Teil eines komplizierten Ablenkmanövers. Am 24. Dezember war es schliesslich so weit. Das Fernsehen strahlte schon ab Vormittag Programm aus! Stundenlang klebten wir am Schirm und sogen fern. Zogen uns Märchensendungen aus einem Land rein, in dem sie seltsames Deutsch sprachen (die Existenz der DDR war uns noch nicht bekannt), verschlungen die hölzernen Abenteuer von Lolek und Bolek, hörten brav gescheitelte Kinderchöre, Zithermusik, Gedichte von Waggerl. Derweil arbeitete der Vater in der Bibliothek an einem Architekturprojekt. Es roch nach Nadelwald, es raschelte, es klirrte. Hin und wieder gab es einen Knall. Dann war eine der Christbaumkugeln am Boden zerplatzt. Längst war die Nacht über die Stadt gefallen, längst waren wir unter Schreien und Zetern vom Fernsehapparat entfernt worden um ‘Schöne Sachen’ anzulegen, das Haar sehr schön zu bürsten, um fertiggemacht zu werden für die Ankunft des Christkindes. Das war Teil des elterlichen Magieprojekts. Uns das Christkind zu verkaufen. Wenn es nach dem Rasierwasser des Vaters zu riechen begann, war der Moment nicht mehr weit. Ein Windhauch fehlte noch, der kam aus dem geöffneten Fenster, dort hatten die Eltern Strähnchen weissblonden Kunsthaares aufgelegt, Beweis für die Ankunft des Christkindes! Jetzt läutete der Vater die Glocke, öffnete die Tür und hiess uns den kerzenleuchtenden Baum bestaunen! Pfoah! Nämen! Ui! Berge an Geschenken! Das Christkind ist gekommen, sagte der Vater! So ein schöner Baum, sagte die Mutter! Und sie waren glücklich dabei.

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