Nationalsport Komatrinken

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 50/2013
Liebe Frau Andrea,
wie man hört, soll die Alkoholsteuer erhöht werden. Ich finde das massiv ungerecht. Ohne Leopold Figl und seine Trinkerqualitäten gäbe es doch die ganze Republik nicht!
Liebe Grüsse,
Doris Oblatter, per Email
Liebe Doris,
Der Gründungsmythos der Zweiten Republik, demzufolge die österreichische Staatsvertragsdelegation 1955 die sowjetischen Verhandler mit dem österreichischen Kombinationspräparat Heurigenmusik und Alkohol über den Tisch gezogen haben soll, hat sich tief ins Gedächtnis der Nation eingebrannt. Aber stimmt die Story überhaupt? Im Münchner Simpl(izissimus) erscheint im Frühjahr 1955 eine satirische Zeichnung. An der Tafel eines Moskauer Palais sitzt unter dem Bildnis Stalins Aussenminister Molotow mit seinen Generälen. Weinend. Neben Sektflöten und leeren Wodkaflaschen hat ein dicker Mann mit geöffneter Weste seine Zither aufgebaut und den Mund zum Gesang geschürzt. Ein zweiter, mit abstehenden Ohren und Krankenkassenbrillen flüstert ihm ins Ohr. Die beiden Figuren sind Bundeskanzler Raab und sein Aussenminister Figl. „Und jetzt, Raab“ haucht der VPler Figl seinem Parteifreund ins Ohr, „jetzt noch d’ Reblaus, dann sans Waach!“ „Weaner Charme in Moskau“ heisst die legendäre Zeichnung des deutschen Zeichners Hanns Erich Köhlers und sie ist so treffend wie unwahr. Die kuriose Legende kann zeitgenössischen Quellen zufolge so gar nicht stattgefunden haben. Am Abend der finalen Staatsvertragsverhandlung sei der betagte und damals gesundheitlich schon angeschlagene Außenminister Figl bereits um 8 Uhr ins Bett gegangen, weil er seine übliche und ziemlich hohe Dosis Alkohol bereits intus hatte und schlicht und einfach nicht mehr stehen konnte. Beim Bankett im Kreml war er in Bulganins Tischrede mit dem Zwischenruf geplatzt, wann es denn endlich Kaffee gäbe. „Figl ist tatsächlich betrunken“, protokollierte SPÖ-Vizekanzler Schärf, „er muß vor Ende des Diners zum Schlafen gebracht werden“. Figl, so erzählt man sich, sei am nächsten Tag in der Früh aufgestanden und habe gefragt: „War irgendwas letzte Nacht?“ Adolf Schärf explizierte ihm das Versäumte: „Ja, es war was, wir haben den Staatsvertrag ausverhandelt.“
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