Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 35/2013
Liebe Frau Andrea,
man versuche, ein Salzstangerl mit einem normalen Brotmesser freihändig durchzuschneiden! Alle Versuche enden mit demselben Dilemma: Es brechen zumindest ein Zipfel, meistens jedoch beide ab. Haben die Bäcker da eine Sollbruchstelle eingebaut? Dass es auch anders geht, beweist die Bäckerei Felzl im Siebenten, deren Salzstangerln beim Aufschneiden keinen Zipfelverlust erleiden.
Liebe Grüße
Dietmar Werner, per Smalt
Lieber Dietmar,
im Wettstreit mit der Freude, die ihr Bericht über die Salzstangerl ihres Herzens auslöst, liegt die Erkenntnis von der wahren Bestimmung des salinen Stangengebäcks. Ab 1727 wurde den Bäckern erlaubt, sogenanntes ‘Mundgebäck’ zu erzeugen. Davon gab es nach Form und Qualität viele Varietäten, wie Mundlaberl (später Schusterlaberl und Rosensemmerl genannt), Kipferl, Anis- und Mohnweckerl. Und natürlich die Semmel. Eine Möglichkeit, Semmelteig zu verarbeiten, war der ‘Salzflecken’. Dabei wurde (und wird) der Teig mit dem Rollholz zu ovalen Flecken ausgewalzt, mit der Hand eingerollt, an der Oberseite in eine Mischung aus grobem Salz und Kümmel gedrückt und im Ofen wie eine Semmel gebacken. Aus den ‘Salzflecken’ wurde irgendwann, bei unverändertem Aussehen und gleichgebliebener Form das ‘Salzstangerl’. Wie die Semmel – so der Bäcker meines Vertrauens – kann das Salzstangerl ‘rescha und waacha bochn wean’, also knuspriger und weicher gebacken werden. Auch die Länge und die Dotierung mit Salz und Kümmel können von Bäckerei zu Bäckerei variieren. Zur Frage des Schneidens von Salzstangerln kann ich nur einen rigorosen Standpunkt anbieten. Salzstangerl werden nicht geschnitten, sie werden gebrochen und gerissen! Ein letztes Echo auf die originale Konsumationsmethode finden wir im Wiener Wirtshaus, wo zum Gulasch (und dem Auftunken desselben) ein Körberl mit Semmeln und Salzstangerln gereicht wird. Ohne Brotmesser selbstverständlich, wird doch vom ‘Mundgebäck’ abgebissen oder abgerissen. Messer verwendete man, als Salzstangerl, Semmeln und dergleichen aufkamen, aussliesslich zum Schneiden krustenharten Brotes. Im Lichte dieser Erläuterungen darf ich empfehlen, in der Unschneidbarkeit von Salzstangerlspitzen kein inzisives Defizit, sondern einen haptischen Gewinn zu erblicken. www.comandantina.com dusl@falter.at