Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 27/2013
Liebe Frau Andrea,
neulich beim abendlichen Zusammensitzen mit Freunden aus London in einem Gasthaus im Dritten entspann sich eine grosse Diskussion über geschichtliche Zusammenhänge. Mein Freund Egon meinte, der Dritte Bezirk sei kein gutes Pflaster für Engländer, konnte sich aber nicht mehr genau erinnern warum. Ein englischer König sei mal aus einem Beisl hier geworfen worden. Ich kann die Geschichte nicht ganz glauben. Was machen englische Könige im Dritten?
Bitte um Aufklärung,
Silvia Oberhauser, per Smalt
Liebe Silvia,
Ihr Freund Egon hat nicht geflunkert. Am 30. Oktober 1192 bricht der englische König Richard Löwenherz den Dritten Kreuzzug ab und macht sich auf den Rückweg nach England. Um den Winterstürmen im Mittelmeer und den für ihn gesperrten französischen Häfen auszuweichen nimmt der Plantagenet mit Vertrauten den Weg über die Adria nach Norden. Als Kaufleute verkleidet setzen König und Entourage bei Aquileia an Land und schlagen sich über Friesach und Bruck an der Mur bis nach Wien durch. Am 21. Dezember 1192 trifft Richard im Wiener Vorort Erdberg ein und schickt einen Vertrauten in die Stadt, um Lebensmittel zu kaufen. Dabei fällt auf, dass der Mann mit byzantinischen Goldmünzen zahlt. Das passt nicht zu seiner vorgeblich einfachen Herkunft. Leopolds Leute folgen dem Mann nach Erdberg in eine Gaststätte namens Rüdenhof. Das Haus, ein großer, langgestreckter Vierkanter, beherbergte über lange Zeit die Hofjäger, Rüdenmeister und Jagdhundeknechte des Landesherrn. Und selbstverständlich jede Menge Hunde. Der Rüdenhof lag im Gebiet des heute durch Göllner-, Haidinger-, Hagenmüller- und Rüdengasse abgegrenzten Häuserblocks und wurde erst 1872 abgebrochen. Im Rüdenhof fasst man Richard Löwenherz in der Nacht des 22. Dezember. Eine andere Legende will wissen, der König sei nicht am aristokratischen Einkaufsgeld, sondern beim Wenden eines Brathühnchens an seinem Ring erkannt worden. Richard wird seinem Erzfeind, dem Babenbergerherzog Leopold V. vorgeführt, zu Hadmar von Kuenring nach Dürnstein in die Wachau gebracht und dort mit Wissen und vermutlich im Auftrag Kaiser Heinrich VI gefangen gehalten, um enorme Lösegeldforderung an England zu stellen. Erdberger Gasthäuser werden Tabu für englische Monarchen. www.comandantina.com dusl@falter.at