Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 24/2013
Liebe Frau Andrea,
auf Facebook zirkuliert ein mir bisher unbekannter Begriff, der sich “Tschapullieren” schreibt. Das sei eine Handlung, die die Demokratie einen Schritt weiterentwickeln soll, indem die Regierungen friedlich und humorvoll daran erinnert werden, warum es sie eigentlich gibt. Höre das zum ersten mal. Hab ich da was versäumt?
Laura Ebenholt, Wieden, per Smalt
Liebe Laura,
das seltsame Zeitwort ist ein hochaktueller Neologismus, der dieser Tage durch Onlineforen und soziale Netzwerke gespült wird. ‘Tschapullieren’, richtiger ‘tschapulieren’, besser ‘chapulieren’, ‘çapulieren’ ist das seltene Beispiel eines Geusen- oder Trotzwortes. Damit bezeichnen die Linguisten ursprünglich pejorativ gebrauchte Bezeichnungen wie Yankee, Queer und Tschusch, die von den so stigmatisierten positiv umgedeutet wurden. Geusen, niederländisch ‘geuzen’, nach dem französischen Wort ‘gueux’ für Bettler nannten sich die niederländischen Freiheitskämpfer während des Achtzigjährigen Krieges (1568–1648). Eine sehr ähnliche Melioration erfährt gerade das türkische Wort ‘çapulcu’. Der Begriff ist abgeleitet vom türkischen ‘çapul’ (Raubzug, Plünderung) und bekommt durch das Suffic ‘-cu’ die Bedeutung ‘berufsmässiger Plünderer’, ‘Marodeur’. Mit ‘çapulcu’, in deutschsprachigen Medien etwas holprig mit ‘Terrorist’ übersetzt, bezeichnete der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan die Teilnehmer von Protesten gegen seine Regierung, die im gewaltsam aufgelösten Wiederstand gegen ein geplantes Bauprojekt am Istanbuler Gezi-Park ihren Ausgang genommen hatte. Ähnlich den Parolen ‘Occupy Gezi’ und ‘Resistanbul’ hat der Begriff eine anglosächsische Aufladung erfahren. So nannte sich der US-amerikanische Linguist und Polit-Aktivist Noam Chomsky öffentlich mit der Selbstbezeichnung der Istanbuler Demonstranten ‘Çapulcu’. Die englische Verbalform soll vom Graffiti ‘Everyday I’m çapuling’ stammen und durch eine Hip-Hop-Version des Smash-Hits ‘Everyday I’m Hustlin’’ des Rap-Moguls Rick Ross multipliziert wordern sein. Der Begriff marschiert gerade mit Hash-Tags wie #çapuling, #capuling, #chappuling, #everydayimcapuling, #everydayimçapuling durch den Kurznachrichtendienst Twitter. Das ‘Bureau für etymologische Genauigkeit’ empfiehlt für den Alltagsgebrauch in unseren Breiten die Version ‘chapulieren’ oder ‘çapulieren’. www.comandantina.com dusl@falter.at